Heft 
(2016) 102
Seite
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170 Fontane Blätter 102 Vermischtes Aus Archivkasten 11: Fritz Landshoff im Interview mit Gotthard Erler Erler: Gustav Kiepenheuer hatte bereits eine ansehnliche Gruppe von Schriftstellern um sich geschart, als Sie, Herr Dr. Landshoff, gemeinsam mit Hermann Kesten und Walter Landauer 1926 in den Verlag kamen. Diese junge Mannschaft profilierte das Unternehmen rasch zu einem Zentrum für demokratische, linksbürgerliche, ja auch sozialistische Autoren. Kein Wunder, daß der 30. Januar 1933 für etwa 80 Prozent der Autorenbeziehun­gen das sofortige Ende bedeutete. Der Verlag geriet in ökonomische Schwie­rigkeiten, Sie selbst konnten nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar Ihre Wohnung, die Sie mit Ernst Toller teilten, nicht mehr benutzen. Trotz der Warnungen Ihres Freundes Georg Kaiser blieben Sie in Berlin und lei­teten Anfang April sogar die Gläubigerversammlung, auf der Ihr Buchprü­fer in SA-Uniform erschien. Wenig später ließ der holländische Verleger Emanuel Querido durch den Journalisten und Übersetzer Nico Rost bei Ih­nen anfragen, ob Sie bei ihm in Amsterdam eine deutschsprachige Abtei­lung aufbauen und leiten würden. Sie griffen sofort zu und etablierten noch im April 1933 diesen wichtigen Exilverlag. Wie hat in dieser Situation die Nachricht von der Bücherverbrennung auf Sie gewirkt? Empfanden Sie die Vorgänge in den deutschen Universitätsstädten als eine Art Zäsur oder als einen weiteren Schritt in der Eskalation von Gewalt und Barbarei? Landshoff: Es war eine spektakuläre Angelegenheit, ein Schauspiel. Die Bücher wurden verbrannt; tatsächlich hatte es aber davor schon viele Be­schlagnahmungen gegeben. Gleich nach dem 30. Januar wurde der Ver­trieb von ungezählten Büchern eingestellt. Das ging zunächst weder auto­matisch noch systematisch vor sich; das muß man sich überhaupt vor Augen führen. Die SA kam eines Nachmittags in den Kiepenheuer-Verlag, aber Herr iepenheuer, Herr Landauer und ich waren gerade beim Anwalt, wir waren nicht da. Da haben sie nicht gewartet und kamen in den nächsten Wochen auch nicht wieder. Es bestand noch kein organisiertes System. Be­denken Sie: die Leute, die, wie ich, ihre Wohnungen verlassen hatten, sind ja teilweise noch frei herumgelaufen.