Heft 
(2016) 102
Seite
171
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Interview mit Fritz Landshoff  Erler 171 Erler: Pardon, daß ich so hartnäckig nachfrage: hat die Bücherverbren­nung wirklich nur als Schauspiel gewirkt, oder haben Sie es im Sinne ­Heines als Menetekel verstanden? Landshoff: Man hat es sehr ernst genommen. Aber es war im Grunde nur ein Akt, der bestätigte, was längst bekannt war. Der Tag der Bücherver­brennung ist für uns heute zu einem Symbol geworden. Aber damals war es ein spektakuläres Ereignis in einer Entwicklung, die deutlich genug war. Die praktische Bedeutung damals ist etwas anderes als die symbolische heute. Erler: Diese Symbolisierung setzt doch unmittelbar nach 1933 ein. Zum ersten»Jahrestag« wurde die Deutsche Freiheitsbibliothek in Paris gegrün­det. Heinrich Mann schrieb mehrfach darüber, so 1936 in der Neuen Welt­bühne, wo er seine Überzeugung von der Feuerfestigkeit der Geisteswerke erneut bekundete. Der 10. Mai ist zum Tag der Besinnung geworden. Landshoff: Das ist mir sehr verständlich. Dennoch glaube ich nicht, daß seinerzeit erst der Tag der Bücherverbrennung den Menschen die Augen geöffnet hat allenfalls in wenig orientierten Kreisen des Auslandes. Ge­nauso wichtig ist für mich der 1. April, der»Judenboykott«. Aber den Leu­ten ist auch nicht erst am 1. April aufgegangen, daß Hitler ein antisemiti­sches Programm hatte. Erler: Zurück zu Querido. Sie haben dort, wie schon vorher bei Kiepen­heuer, Autoren recht unterschiedlicher politischer Standpunkte verlegt, Feuchtwanger und Anna Seghers, Bruno Frank und Leonhard Frank, oller und Arnold Zweig, Vicky Baum und Klaus Mann, um nur diese zu nennen. War eigentlich die gemeinsame Basis für alle die kompromißlose Anti-Nazi­Haltung? War das Querido-Programm ein eindeutiges antifaschistisches Programm? Landshoff: Das können Sie sagen. Wir wollten nur antifaschistische oder solche Literatur veröffentlichen, die unter dem damaligen Regime in Deutschland nicht erscheinen konnte, und wir haben dafür stets ein offenes Ohr bei Herrn Querido gefunden. Eines muß ich Ihnen jedoch sehr deutlich sagen: eine Einheit oder Einigkeit zwischen den Autoren in den Zielsetzun­gen, in den Stellungnahmen zu den Ereignissen hat es eigentlich nicht ge­geben. Fast jeder Versuch, zu einer gemeinsamen Plattform zu kommen, scheiterte. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Allert de Lange, der zweite Amsterdamer Exilverlag, wollte eine Anthologie vertriebener Autoren vor­bereiten, und Hermann Kesten entschied sich schnell für den Titel Der Scheiterhaufen, ein schöner, ein deutlicher Titel. Zahlreiche Autoren woll­ten indes unter diesem programmatischen Titel nicht erscheinen:»Wer weiß, wie die Dinge laufen, wir wollen noch abwarten« Der Band kam später unter einem nichtssagenden Titel heraus, aber ohne den Beitrag von Anna Seghers, die vorher ihre Zustimmung zum Scheiterhaufen gegeben hatte.