22 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Welch ein Verrat an deutschem Verstand und Nationalismus! Wappne dich, Michel, und auf! Schütze das deutsche Gebiet. Deutsch muß die Sonne sein. Im Namen deutschen Vernunftsrechts, Scheint dir die Sonne nicht deutsch, Michel, so lösche sie aus. Michel erschien hier in Gesellschaft von Herkules-Bismarck, den im gleichen Band der ›Hofpoet‹ und Lieblingsdichter des neuen Reichs Emanuel Geibel wie ebenfalls Kladderadatsch 48 im Lebenskampf gegen die(römische) Hydra verherrlichte: Polnischer Trotz, jesuitische Wut, altkirchlicher Hochmut, Aus drei Köpfen zugleich, bellen sie, Starker, dich an. Der Kulturkampf war eine gesamteuropäische Erscheinung in der Auseinandersetzung von Staat und(katholischer) Kirche, jedoch mit auffallender Phasenverschiebung. So im Fall eines der eigentümlichsten Erzeugnisse der Michelliteratur, nämlich Oskar Panizzas erst 1894 erschienenen Der teutsche Michel und der römische Papst. 49 Extremer Antikatholizismus, Xenophobie und(in seinen z.T. großartigen Erzählungen) Antisemitismus sind charakteristische Elemente von Panizzas ›teutschem‹ Patriotismus, die er seinem Michel verlieh. Die letzten zwei blieben Wesenselemente der Figur von nun an bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.»Was ist der Gott der Katoliken?« fragt der Erzähler in Michels Namen: » – Ein rasirter, hodentragender, mit Gold umhängter Italiener? Und der Gott der Teutschen – Der Inbegriff allumfassender Liebe, mitleidigen Erbarmens und unergründlicher Barmherzigkeit.« Und er belehrt seine Landsleute: »Von zweien Eins: Entweder Ihr seid Katoliken und dem Papst in allen Fragen ›des Glaubens und der Sitten‹ gehorsam[...] Oder Ihr seid Teutsche.« 50 Man denke hierzu an Nietzsches spöttischen Sinnspruch Römischer Seufzer:»Nur deutsch! Nicht teutsch! So will’s jetzt deutsche Art./ Nur was den ›Bapst‹ betrifft, so bleibt sie hart.« 51 Als Kulturkämpfer war Panizza eine Sondererscheinung, doch sein ›Riesenmichel‹ als Beschützer der Deutschen gegen eine ihnen feindliche Welt entsprach der Zeitstimmung des ausgehenden Jahrhunderts, wie sie in Gebrauchstexten – sogar von höchsteigener Hand – überall anzutreffen waren. So veröffentliche die Berliner Illustrirte Zeitung eine von Kaiser
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(2015) 100
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