Heft 
(2015) 100
Seite
34
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34 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte gesehen­werden, einer Heimatliebe als Selbstverständlichkeit ohne Wenn und Aber. Es handelt sich also um eine imaginierte Heimat. Fontanes Ein­stellung Großbritannien gegenüber war nicht immer eine bewundernde, aber etwas, das ihm doch imponierte und das er seinen preußischen Landsleuten in den 1850er Jahren als Vorbild vorhalten wollte, war der selbstverständliche Patriotismus, den er dort vorfand: ein Patriotismus, der aus der Tradition und der Kontinuität einer langen gemeinsamen Ge­schichte gewachsen war und wenig mit der aktuellen politischen oder wirtschaftlichen Lage im Lande zu tun hatte. Roth teilt mit Fontane die Sehnsucht nach der Eingebundenheit in einem stabilen größeren Ganzen, etwa einem Vaterland, das durch Tradition und Geschichte identitätsstif­tend wirkt und Platz sowohl für gesellschaftliche als auch für religiöse und nationale Unterschiede hat. Patriotismus in Österreich war auch keine Selbstverständlichkeit, sondern ein relativ junges Phänomen. Helmut Kuz­mics bemerkt,»›Patriotismus‹ in der Form eines Reichspatriotismus, der Liebe zu Vaterland und Kaiser war in Österreich ein Phänomen, das erst­mals in Maria-Theresias Kriegen mit dem Preußen Friedrichs einsetzte, und eine flüchtige Begleiterscheinung der Befreiungskriege gegen Napole­on. Ein Massengefühl wurde es vielleicht erst 1914.« 13 Die Romane Der Stechlin und Radetzkymarsch sind, wie bereits be­merkt,»kritische Auseinandersetzungen mit patriarchalischen Vaterlän­dern[], die im Begriff sind, sich radikal zu verändern«, und»[i]m Be­wußtsein des heranrückenden Todes geschrieben werden die Fragen nach Möglichkeiten der Kontinuität neben der Gewißheit des Sterbens beson­ders dringend.« 14 Die literarische Erforschung dieser Themen bei Fontane und Roth erfolgt zum Teil mittels des Diskurses von Ort und Raum. Topo­graphische Elemente symbolisieren Wertvorstellungen der Autoren. In beiden Fällen wird im Romantitel schon quasi programmatisch der Ort genannt, den es zu wahren gilt. Der Stechlin(der See) und der Radetzky­marsch sind Ausgangspunkt und Ende, wenn nicht eindeutig Schluss des zu Erzählenden. Dass der Radetzkymarsch primär als Ort funktioniert, und dass dieser Ort der noch intakten Habsburger Monarchie gleichzuset­zen ist, geht aus der ersten Darstellung des Marsches im Roman deutlich hervor. Carl Joseph Trottas Heimatstadt im österreichischen Kronland Mähren wird zuallererst vom Leser als Ort gesehen, an dem der Marsch von der Militärkapelle unter dem Balkon der Bezirksmannschaft gespielt wird, als Anerkennung und Bestätigung des Bestehens des Reichs. 15 Spä­ter blickt Carl Joseph auf diesen Ort zurück und fragt sich, ob Österreich dort noch und das heißt überhaupt noch vorhanden ist. 16 Die Protagonisten in beiden Romanen haben Namen, die sich mit ihren heimatlichen Orten decken. Stechlin ist sowohl Familien- als auch Ortsna­me, und dem Ort, das heißt dem See, der als erstes vorgestellt wird, wird eine Legende, die Geschichte vom roten Hahn, beigegeben. Ähnlich heißt