Heft 
(2015) 100
Seite
35
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Heimat bei Fontane und Joseph Roth  Chambers 35 in Radetzkymarsch die erste Hauptfigur Joseph Trotta von Sipolje. Er wird am Anfang des Romans von Kaiser Franz Joseph geadelt, weil er dessen Leben bei der Schlacht von Solferino rettet. Daraufhin heißt Trotta zusätz­lich in der Regimentsgeschichte und in der eher legendenhaften Schul­buchfassung seiner Tat»der Held von Solferino«. Trotta, dem als Adelsprä­dikat nichts anderes eingefallen ist als der Name seines(fiktiven) slowenischen Heimatdorfes am südlichen Rand der Monarchie, fühlt sich unwohl mit seinem neuen Namen,»ihm war, als wäre er von nun ab sein Leben lang verurteilt, in fremden Stiefeln auf einem glatten Boden zu wan­deln.« 17 Die Namen beider Orte werden ihm gleichsam zum Schicksal, und in Sipolje kann man eine leicht geänderte Abwandlung von Solferino er­kennen, fast dieselben Buchstaben, nur in etwas veränderter Reihenfolge: nomen et omen. Wenn sein Enkel Carl Joseph auch er in seiner Identität als Baron und Kavallerieoffizier nicht heimisch an Sipolje denkt, wo sein Urgroßvater ein einfaches Bauernleben führte, dann sagt er sich:»Sipolje: Das Wort hatte eine alte Bedeutung. Auch den heutigen Slowenen war es kaum mehr bekannt.« 18 Wenn Sipolje aber mit Solferino unterschwellig identisch ist, dann wird die Bedeutung im Roman für den Leser spätestens im 18. Kapitel klar, wenn die frivolen»Herren von Wien« vorübergehend von der Erscheinung von Carl Josephs Vater, Franz, an den Helden von Solferino erinnert werden:»der Name ›Solferino‹ weckte in ihnen Schau­der und Ehrfurcht, der Name der Schlacht, die zum erstenmal den Unter­gang der kaiser- und königlichen Monarchie angekündigt hatte.« 19 Sipolje bedeutet also eine Fata-Morgana-artige, vergangene Idylle, die sich als zu­künftiger Untergang entpuppen wird. Stechlin ist als Name weniger schwer belastet, aber immerhin trägt es durch den Mythos Assoziationen der unberechenbaren Schicksalsverbundenheit, und durch das Gut, wie es am Anfang geschildert wird, Assoziationen des Verfalls. Es wird als ge­fährdet dargestellt und zwar in finanzieller Hinsicht, so dass plötzlich aus dem in den Traditionen des märkischen Adels bewährten Heim ein ver­wertbares»Objekt« des neuen materialistischen Zeitalters werden könnte. Die Möglichkeit droht, dass das Gut Stechlin Baruch Hirschfelds Kategori­en und Wertvorstellungen als»Mittelboden und Wald und Jagd und viel Fischfang« preisgegeben wird. 20 Die Landschaft und die Orte, die märkische Heimat, die Fontane in Der Stechlin mit Worten konstruiert, bestehen zu einem beträchtlichen Teil aus realer Geschichte, das heißt, genauer gesagt, aus der militärischen Ge­schichte Preußens seit dem Dreißigjährigen Krieg. Abgesehen von dem belehrenden, historisch-moralischen Vortrag, den Pastor Lorenzen Melu­sine gegenüber hält 21 , der freilich von zentraler Bedeutung ist, taucht die Geschichte scheinbar spontan manchmal eher beiläufig an Ort und Stelle auf. In seiner Erwiderung auf Rex Anfrage nach kirchlichen Urkunden – »Und mit den Urkunden ist es gründlich vorbei, seit Wrangel hier alles