Heft 
(2015) 100
Seite
36
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36 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte niederbrannte« 22 schlägt Dubslav einen forschen, familiären Ton an, der Wrangel als tatenfreudigen individuellen Menschen lebendig in die Land­schaft stellt. Fast überall, wo man geht oder steht in dieser abgelegenen Gegend, kommen zwanglos, wie es scheint, solche Reminiszenzen an his­torische Figuren als wirksame, lebendige, individualisierte Menschen vor. Dem Grafen Hohenlohe begegnen Rex und Czako unterwegs auf dem Cremmer Damm, unweit des Denkmals für seine Schlacht. Der alte Fritz und Prinz Heinrich werden bei Schloss Rheinsberg, wo sie gewohnt haben und Heinrich begraben liegt, natürlich zum Gesprächsthema. Und in Ro­manfiguren wie Dubslav und Kluckhuhn, die bei Bismarcks Kampagnen in Frankreich und Dänemark mitgewirkt haben, werden konkrete und leben­dige Beziehungen zur neueren preußischen Geschichte geknüpft. Im Ge­spräch werden die historischen Gestalten und Ereignisse nicht immer ein­stimmig gewertet, und die Schlacht- und Kriegsreminiszenzen sind denkbar weit von jedem Hurrapatriotismus entfernt. Sie zeugen oft von humoristischer Skepsis gegenüber tradierten Heldenvorstellungen. Es handelt sich dabei nicht um idealisierte oder gar rigide Verhaltensmuster. Generell hochgeschätzt wird eine stille altruistische Opferbereitschaft. Geschichte als Aufmucken und Frondieren mit seinem Maß an Freiheit und Selbstbestimmung gehören auch dazu. 23 Die geschichtliche Bedeu­tung der geographisch gesehen abgelegensten Nordostecke der Grafschaft Ruppin wird im 16. und 17. Kapitel zweimal von verschiedener Seite aus hervorgehoben. Adelheid zitiert brieflich die Worte des Superintendenten Koseleger:»Wenn man sich die preußische Geschichte genau ansieht, so findet man immer, daß sich alles auf unsre alte, liebe Grafschaft zurück­führen läßt; da liegen die Wurzeln unserer Kraft.« 24 Es ist typisch für ­Fontanes Art, und nebenbei gesagt auch für Roth, dass diese an Sentimen­talität grenzende Äußerung in einen ironischen Rahmen eingebettet wird, in diesem Fall dadurch doppelt distanziert, dass sie als Zitat eines unsym­pathischen Charakters in dem Brief eines zweiten unsympathischen Cha­rakters vorkommt. Auf diese Weise wirkt Fontane seiner Tendenz zur Ver­klärung selbst ironisch entgegen. In Lorenzens Brief über die anstehende Wahl am Anfang des nächsten Kapitels nimmt Fontane aber die Idee der Zentralität der Rheinsberger Gegend diesmal ohne Pathos wieder auf:»In Rheinsberg, wie immer, fallen die Würfel.« schreibt Lorenzen mit einem Hinweis auf Bismarck und die jüngsten Ereignisse. 25 Durch die im Text realisierte Immanenz der preußischen Geschichte in der Topographie kon­struiert Fontane ein Bild der Gegend nicht als Peripherie, sondern als Zen­trum, als Herzland Deutschlands, weil Schauplatz historischer Ereignisse. Diese Strategie dient der Schilderung des eigentlichen Preußens innerhalb Deutschlands, um dessen Fortbestehen es Fontane geht. Fontanes Sinn für Topographie als Geschichte kommt auch 1888 in sei­ner Besprechung von Julius Rodenbergs Buch» Unter den Linden«. Bilder