Heft 
(2015) 100
Seite
42
Einzelbild herunterladen

42 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte In der Vorrede zu einer geplanten Neuauflage von Juden auf Wanderschaft schreibt Roth,»daß nichts in dieser Welt beständig ist, auch die Heimat nicht; und daß unser Leben kurz ist, kürzer noch als das Leben der Elefan­ten, der Krokodile und der Raben. Sogar Papageien überleben uns.« 41 Hier hören wir die für Roth und auch Fontane typische Skepsis gegenüber der Bedeutung von menschlichem Tun und Treiben. Ihre Romane Der Stechlin und Radetzkymarsch kann man als Versuche, den Verlust der Moderne äs­thetisch zu bannen, sehen. In beiden wird in der Schilderung der von poli­tischem Wandel und Auflösung bedrohten Heimat nach bleibenden Wer­ten gefragt. In diesen Romanen entsteht das Paradox, daß das Marginale und das Periphere sich zentral geben. Dem scheinbar Zentralen, der Groß­stadt, kommt aber lediglich periphere Bedeutung zu. 42 Das hängt zum Teil mit dem Verhältnis zwischen Literatur und Politik zusammen. Während die Metropole in der Wirklichkeit Ort des öffentlichen Lebens und der po­litischen Aktion ist, bleibt die Provinz Bereich des privaten Handelns, wo man die Auswirkungen politischer Maßnahmen beobachten und empfin­den in der Armee sogar miterleben kann, sie aber nicht ergreift. Der Beruf des Romanciers, wie Fontane und Roth ihn auffassten, besteht in Betrachtung und Vermittlung, nicht in politischer Tätigkeit. Sowohl Wol­demar von Stechlin als auch Carl Joseph von Trotta geben sich bewusst unpolitisch im aktiven Sinne. Diese mangelnde politische Energie wird als nicht unproblematisch dargestellt, aber der moralischen Aussage der Tex­te untergeordnet. Das Moralische bei Fontane wie bei Roth kommt im pri­vatmenschlichen Rahmen zum Ausdruck, wird im Privatmenschlichen sozusagen demonstriert. Im Stechlin sagen Melusines Worte in einem frü­heren Entwurf des Romanschlusses das Wesentliche:»[R]ichtige Men­schen sind die, die sich um mehr als ihren Maulwürfshügel kümmern,« 43 was als kein Ruf zur politischen Aktion, sondern als Appell gegen Be­schränktheit und Egoismus verstanden werden will. Die Werte, die es zu wahren gilt, werden von Fontane in seinem Aufsatz Das schottische Hoch­land und seine Bewohner genannt. Es sind die humanen Tugenden: Mut, Treue, Selbstverleugnung und Liebe. 44 In diesem Aufsatz erklärt Fontane, dass dieser Landesteil, die Heimat der Hochländer, sowohl flächenmäßig als auch historisch, unscheinbar ist:»Diese Hochlande, ein Stück Land, nicht viel umfangreicher als unsere Provinz Brandenburg und mit kaum mehr Bewohnern als unsere Stadt Berlin, sind über die ganze Welt hin berühmt geworden durch die poetische Glorifizierung, die sie erfahren haben.« 45 »Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie du« heißt es im Gedicht. Wie haben denn Fontane und Roth ihre Heimat geliebt und was für eine? Sie haben sie, wie Heine übrigens auch, mit einer kritischen Lie­be, mit einem klaren Auge für deren Schwächen und Unzulänglichkeiten geliebt, d.h. mit Skepsis, aber eben auch mit Treue. Diese kritische Liebe ist