46 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Theodor Fontane und Emil Frommel: ein Erzähler reicht dem anderen die Hand Hans Ester Theodor Fontane stand in einer besonderen Beziehung zu den Geistlichen seiner Zeit, besonders zu den Landgeistlichen. Das Fontane-Handbuch widmet in der von Hugo Aust verfassten Abteilung»Kulturelle Traditionen und Poetik« einige substantielle Seiten Fontanes Verständnis der staatlich gelenkten Staatsreligion in Preußen und seiner Beurteilung der offiziellen Vertreter dieser Religion. Pfarrer, Gottes Beamte, gehören zum Personal von Fontanes Romanen und sind in den Wanderungen prominent vertreten. Aust schreibt zusammenfasend:»Fontanes religions- und kirchenpolitische Urteile lassen sich gerade im Umkreis eines gewandelten, sich auf das Sozialethische besinnenden Christentums verstehen. Während er mithin die Verweltlichung des Himmels und ihre Widerspiegelung auf Erden als ›durch Gott gegebene Ordnungen‹ scharf kritisierte, sympathisierte er mit den zeitgenössischen Bewegungen, die den Sinn der christlichen Heilsbotschaft als konkreten, reformerischen Auftrag einzulösen trachteten.« 1 Aust nennt den Hofprediger Adolf Stoecker und kommt im Zusammenhang mit Stoeckers politischer Agitation auf andere Hofprediger der damaligen Zeit zu sprechen:»Historisch bezeichnet er[Stoecker] im durchaus illustren Kreis der Hofprediger[Fontane erwähnt wiederholt Emil Frommel, Kögel und Ernst von Dryander] den widersprüchlichen Typus des politisch ehrgeizigen und sozial aktiven Pfarrers.« 2 Ob Emil Frommel (1828–1896) dem skizzierten Profil entspricht, bleibt dahingestellt. Frommels Bedeutung für Fontane ist bestimmt nicht beschränkt auf seine kirchlich-religiöse Position. In Fontanes Verhältnis zu Frommel spielen die geistlichen Aspekte ohne Zweifel eine bestimmte Rolle. Wichtiger scheint aber der Vermittler der human-geistlichen Werte zu sein. Dieser Vermittler ist die Literatur. Frommel war ein sehr begabter Erzähler und als Erzähler menschlicher Verhältnisse gestaltete er humane Werte, die in Verbindung stehen mit seinem Amt als Pfarrer. Primär ist das Menschliche bei Frommel, das Religiöse ist ein selbstverständlicher, integraler Bestandteil dieser epischen Welt.
Heft
(2015) 100
Seite
46
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