Auf der Treppe von Sanssouci Wehinger 65 der als Drucke weitverbreiteten Menzel-Werke das Bild vor Augen hatten. Das trifft noch mehr auf die Figur des Königs zu, wie Fontane sie im Gedicht auftreten lässt und wie Menzel sie dem kollektiven Bildgedächtnis des zeitgenössischen Publikums unverwechselbar eingraviert hat:»Im Frackrock, hinter ihm das Windspiel[…], dazu Krückstock/ Und Hut und Stern« – bezeichnenderweise nur in Begleitung eines seiner Lieblingshunde mit dem französischen Namen Biche(Liebling), der im Park Sanssouci begraben liegt. 23 Auf den ersten Blick erscheint der aus dem»Buschwerk«(oder aus Menzels Bilderwelt?) heraustretende König wie ein Gespenst, das dem die Treppe hinaufsteigenden Spaziergänger einen Schrecken einjagt und ihn kurz einschüchtert. Die Eingangsszene erinnert ein wenig an ein Nachtstück. Mit wenigen Versen entwirft das lyrische Ich die düstere Atmosphäre einer eisigkalten Winternacht im menschenleeren Schlosspark(in dem um diese Zeit selbst von der Wache nichts zu hören ist):»die Sterne blinkten, blitzten«, Bäume und Sträucher werfen ihre nächtlichen Schatten – dünne, durchsichtige,»wie Schatten nur von Schatten«; es herrscht»tiefe Stille«, die zu Mitternacht vom Glockenspiel aus der nahe gelegenen Stadt nur kurz unterbrochen wird. Welche Melodie die Glocken der Potsdamer Garnisonskirche spielen, wird nicht gesagt; um 1885 wissen das vermutlich nicht nur die Potsdamer. Die Melodie erklang allerdings erst seit dem Jahre 1797:»Üb’ immer Treu und Redlichkeit«; sie gehört nicht in die Zeit Friedrich II., wie Fontane und Menzel sie darstellten und interpretierten. Die Hommage an Menzel zum 70. Geburtstag gestaltet Fontane so, dass die anfangs gespenstisch-düstere Atmosphäre sich aufklärt: Das lyrische Ich steigt die Treppe von Sanssouci hinauf –»Von Marly kommend und der Friedenskirche,/ Hin zum Bassin[…]/ Stieg ich treppan«. In der Symbolik des Raums setzt die Bewegung»treppan« ein positives Vorzeichen; der Aufstieg verspricht demjenigen, der die Treppe hinaufgeht, Helligkeit und Licht zu erblicken. Hier ist es das» Fritzen-Auge«, der Blick des Königs, der den Dichter fesselt –»Das Fritzen-Auge bannte mich zur Stelle«. Friedrichs Blick beziehungsweise seine Augen wurden schon von den Malern der wenigen zeitgenössischen Friedrich-Porträts wirkungsvoll hervorgehoben. In Menzels Brustbild Friedrich des Großen als Kronprinz(um 1841) sind die Augen des Porträtierten ebenfalls so stark betont, dass wir zuerst die Intensität seines Blicks wahrnehmen. 24 Die kunstvollen Blankverse, der Wechsel zwischen langen und kurzen Strophen, Frage und Antwort, schnelle Wortwechsel, direkte Rede, das Beiseitesprechen, die sich steigernden Aufzählungen, sachliche Erläuterungen und Beschreibungen bewirken, dass das stark rhythmisierte Gedicht tempo- und abwechslungsreich wirkt. Im Mittelpunkt steht die Unterhaltung zwischen dem lyrischen Ich(in der Rolle des Dichters) und dem König. Fontane, der Virtuose des Konversationsromans, bevorzugt auch
Issue
(2015) 100
Page
65
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