Auf der Treppe von Sanssouci Wehinger 67 erweckt, die Antwort auf die zweite Frage parat zu haben, macht es dem lyrischen Ich nicht leicht, seine Kennerschaft unter Beweis zu stellen. Der Dichter zögert, betont, dass die Frage nur schwer zu beantworten sei und eine wissenschaftliche Untersuchung verdiente, die er(als Poet) nicht bieten könne. Der ironische Verweis auf die gängigen Konversationslexika des 19. Jahrhunderts als Quelle seines Wissens(Pierer, Brockhaus) kennzeichnet das lyrische Ich als Laie. Schwierig ist die Antwort vor allem, weil der Künstler und Jubilar sich nicht auf eine einzige Identität reduzieren lasse, denn»Menzel ist sehr vieles, um nicht zu sagen alles«. Mit dieser ausgesprochen modern anmutenden Charakterisierung kommt das lyrische Ich in Fahrt und entpuppt sich als großer Connaisseur, der die Bilderwelten Menzels en detail kennt, sie zu würdigen versteht und darüber hinaus dem König zu imponieren scheint. Bevor Fontane in seiner atemlosen Aufzählung – nur kurz unterbrochen vom Zwischenruf des Königs – Menzels vielgestaltiges, im Laufe eines halben Jahrhunderts entstandenes Werk stichwortartig vergegenwärtigt, vergleicht er es mit der»Arche Noäh«. Damit setzt er ein starkes Vorzeichen, enthält die Arche Noah doch alles, was das Leben auf Erden ausmacht. Sie ist nichts Geringeres als ein Meisterwerk, so wie Menzels künstlerisches Werk das Werk eines Meisters ist. Menzels Arche Noah enthält die»groß und kleine Welt; was kreucht und fleucht«, Menschen, Tiere, Dinge, das moderne Leben. Wir folgen mit Spannung Fontanes lebhafter Aufzählung all dessen, was Menzel dargestellt hat und gewinnen den Eindruck, uns in einer imaginären Menzel-Ausstellung zu befinden, wo es»ungemein Forsches, Farbenreiches und Wirkungsvolles« 28 zu entdecken gibt.»Forsch« ist die Abfolge der aufgerufenen Menzel-Bilder, denn Fontanestellt sie ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Hierarchien des Wilhelminischen Kaiserreichs zusammen,»farbenreich und wirkungsvoll« sind die ausgewählten Bildmotive: Tiere(Putthühner, Gänse, Papageien, Enten), katholische Kirchen, italienische Plätze, Schuhschnallen,»Walz- und Eisenwerke«, Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus: Ammen, friderizianische Generäle, Schlosserjungen,»mißgestimmte« Minister, selbst»der Kaiser« [Wilhelm I.] zwischen Hummer-Mayonnaise, Moltke, Hofdame und Bismarck. Wobei ausgerechnet der Name Bismarck Friedrich zum Einspruch provoziert(»Outrier’ Er nicht«). Das zeitgenössische Publikum konnte dies als kleinen Wink verstehen, dass es mit Bismarck problematisch sein könnte – jedenfalls aus der Sicht, die F ontane seiner Friedrich-Figur zuschreibt. Menzel jedoch malte ihn wie er viele und vieles malte, eine ganze Welt; er hat sie»durchstudiert«, bevor er sie uns»im Spiegelbilde« wiedergegeben hat – heißt es im Gedicht. Mit der Metapher des Spiegelbildes positioniert Fontane Menzels Werk innerhalb des ästhetischen Realismus und porträtiert den Künstler als Meister des modernen Realismus. Die(literar-) ästhetische Theorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts griff die
Issue
(2015) 100
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67
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