Issue 
(2015) 100
Page
68
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68 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Spiegel-Metapher gerne auf, um die Enttabuisierung und Entgrenzung der Themen und künstlerischen Mittel zu legitimieren. In Frankreich hatte Stendhal bereits 1830 die Spiegelmetapher zur Begründung seiner realis­tischen Schreibweise eingeführt. 29 Ob Erzähler oder Maler, bevor der Künstler des modernen, des poetischen Realismus zu Pinsel oder Feder greift,»durchstudiert« er die umfassende Wirklichkeit des Lebens, beob­achtet und erforscht sie ohne Vorurteile und Tabus. Die Kunst der Realisten besteht darin, so wäre Stendhals Spiegelmetapher zu verstehen, den Spie­gel(der Wirklichkeit) besonders raffiniert zu schleifen, geistreich zu bear­beiten und so ›aufzustellen‹, dass das Spiegel bild veristisch, detailsicher, erhellend wirkt. Das konnte je nach Blickwinkel schockieren, irritieren, aber auch erfreuen und als ›schön‹ wahrgenommen werden. Dass Menzels »Spiegelbild«, d. h. sein künstlerisches Werk, so vielgestaltig wie die von ihm dargestellte Lebenswirklichkeit ist, macht es für Fontane zum Meis­terwerk, dem er anlässlich des 70. Geburtstages des Schöpfers dieses Meisterwerks öffentlich und in Versen seine Hommage darbringt. Die Vergegenwärtigung der Themen in Menzels Bilderwelt vollzieht sich im Gedicht Auf der Treppe von Sanssouci in zwei Schritten: Die erste Aufzählungskaskade der Tiere, Menschen, Dinge als Bildmotive bezieht sich auf die Gegenwart(mit Ausnahme der friderizianischen Generäle zwi­schen Enten und Ammen); Friedrich II. kommt dabei nicht vor, weder als Herrscher oder Vertreter seiner Dynastie noch als ›Held‹ militärischer Ak­tionen. Erst nach einer kurzen Pause, in der sich das lyrische Ich(beiseite­sprechend) an die Leser/innen wendet, setzt Fontane erneut an. Das lyri­sche Ich kommt in Fahrt, wird immer kühner und beginnt, mit Stolz auf seine Kenntnisse(»mir schwoll der Kamm«), Menzels Friedrich-Werke, die » Fritzen-Welt« vorzustellen. Dabei fällt auf, dass dies äußerst knapp, gera­dezu skizzenhaft vonstatten geht. Fontane benötigt dafür nur sieben Verse. Dass er Menzels Verdienste um die» Fritzen-Welt« erst mit Verzögerung zur Sprache bringt, gleichwohl als einen wichtigen Teilbereich des künst­lerischen Werkes, lässt erkennen, dass Fontane Menzel nicht auf ein einzi­ges, womöglich auf das eine Thema festlegt, sondern bewusst sein Ge­samtwerk poetisch zur Geltung bringen will. Claude Keisch hat darauf hingewiesen, dass Fontane im Dezember 1885 der einzige ›Lobredner‹ Menzels gewesen sei, der den Jubilar nicht auf das Friedrich-Thema reduziert habe, sondern mit seinem Gedicht Auf der Treppe von Sanssouci gegen die diskursive Vereinnahmung Menzels durch das Wilhelminische Kaiserreich angeschrieben habe. 30 Es sei die»Allum­fassendheit«(Fontane) des künstlerischen Werkes, die Menzels europä­ische Bedeutung und Einzigartigkeit ausmache. 31 Explizit ruft Fontane nur zwei der vielen Friedrich-Gemälde auf: das Flötenkonzert(1850–1852) und die Tafelrunde(1850). Das ist wenig, aber umso aussagekräftiger für Fontanes­Menzel-Bild um 1885. Er vergegenwärtigt in seiner Hommage an