Heft 
(2015) 100
Seite
72
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72 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte denn in Wirklichkeit ist seit dem Sieg Preußens über Frankreich das deutsch-französische Verhältnis vergiftet. Voltaires Platz an der Tafelrun­de ist also frei geworden. Fontanes Friedrich-Figur reserviert ihn für Men­zel auf den ersten Blick eine einzigartige Auszeichnung für den bildenden Künstler, der den Ehrenplatz einnehmen soll, den er auf seinem Gemälde dem französischen Dichter, Causeur, Aufklärer zuerkennt. Doch ist dies in Menzels Sinne wünschenswert? Oder ist es ein Zugeständnis Fontanes an den preußischen Zeitgeist um 1885? Menzel hat sich immer wieder mit Vol­taire beschäftigt, ihn seit den 1840er Jahren variantenreich dargestellt: in seiner Rolle als Grandseigneur der europäischen Literatur, im Gespräch mit Friedrich II., auf der Tafelrunde äußerst lebhaft im Zwiegespräch mit Francesco Algarotti, Voltaire und der König als Spaziergänger in Sanssou­ci. 37 Fontanes impliziter Verweis auf die von ihm seit 1871 kritisch kom­mentierten deutsch-französischen Beziehungen, die mit der aggressiven Rede von der ›Erbfeindschaft‹ immer schlechter wurden, holt das Gedicht in den zeitgenössischen Entstehungskontext zurück und transzendiert den individuellen Anlass. Diese Volte regt zum Nachdenken an: hat sich Menzel doch mit der zeitgenössischen französischen Kunst auseinandergesetzt. Seine Werke wurden in Paris ausgestellt, nach 1870 jedoch mit enormen Vorbehalten seitens der französischen Öffentlichkeit, die ihrerseits laut­stark antipreußische Ressentiments intonierte. Gegen alle Widerstände fand 1885, anlässlich des 70. Geburtstages des Künstlers, im Pariser Salon der Indépendants eine erste Menzel-Retrospektive statt, in der das graphi­sche Werk im Vordergrund stand. Die Friedrich-Gemälde wurden aus poli­tischer Rücksichtnahme nicht ausgestellt. 38 Unter den sieben ausgestellten Gemälden befanden sich aber das Eisenwalzwerk(»Walz- und Eisen­werke«) und die Piazza dErbe in Verona(»italiensche Plätze«), die Fontane in seiner Hommage an Adolph Menzel poetisch evoziert.