Heft 
(2015) 100
Seite
78
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78 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte einlud saß jedoch einer biografischen Fiktion auf. Mehr noch: einer ­Fontane-zitatreichen Parodie auf»Intuitionsphilologie« aus der Hand des als Herausgeber zeichnenden Walter Hettche. Das Verdienst, ein»sogen. Fontane-Archiv« angeregt zu haben, ge­bührt also nicht Fontane. Nach einem 2011 veröffentlichten Brief Friedrich Fontanes aus dem Jahre 1908 kommt es vielmehr dem»sehr praktischen Herrn Direktor Schlenther« 3 zu, dem engen Freund der Fontane-Familie Paul Schlenther, Mitglied der nach Fontanes Tod eingesetzten Nachlasskom­mission und zur Schreibzeit des Briefes Direktor des Wiener Burgtheaters. So wenig sich der Dichter Fontane zum Initiator seines Archivs machen lässt, noch weniger lässt er sich als Architekt der Institution Literaturarchiv reklamieren. Deren Gründungsvater war vielmehr der Philosoph und Be­gründer der Geisteswissenschaften Wilhelm Dilthey. Noch zu Lebzeiten Fontanes hatte er 1889 zur Einrichtung von Literaturarchiven aufgerufen und sich zur Beförderung seines Projekts in der 1892 gegründeten Deut­schen Literaturarchiv Gesellschaft engagiert, zusammen mit so renommier­ten Gelehrten wie Theodor Mommsen oder Erich Schmidt. In seiner»Ge­burtsurkunde des modernen Literaturarchivs« 4 aus dem Jahr 1889, dem in der Deutschen Rundschau publizierten Aufsatz Archive für Literatur, hat Dilthey sein Projekt als nationale Aufgabe von epistemischer, wissenschaft­lich-kultureller, vor allem aber hermeneutischer Relevanz umrissen. Nur in Literaturarchiven als den»Pflegstätten der deutschen Gesin­nung« könne der»unsterbliche ideale Gehalt unserer großen Schriftsteller« versammelt und bewahrt werden:»Neben die Staatsarchive, auf deren Verwertung jetzt alle politische Historie ruht, müssen Archive für Literatur treten.« 5 Fontane indes hat sich dem bedeutendsten Großereignis nach Diltheys Aufruf entzogen. Als ihn Bernhard Suphan, erster Direktor des Weimarer Goethe-und Schiller-Archivs, zur Einweihung des Archivneubaus am 28.  Juni 1896 einlud, sagte er ab unter Vorschub eines Karlsbader Kur­aufenthalts. Dass die Karlsbader Reise den Festakt aber gar nicht gefähr­den würde schließlich war Fontane schon eine gute Woche vor dem Ar­chiv-Termin wieder nach Berlin zurückgekehrt unterschlug er dabei. 6 Gegenüber Suphans Amtsvorgänger Erich Schmidt, dem ehemaligen Di­rektor des Goethe-Archivs und nunmehrigen Inhaber des Berliner Lehr­stuhls für deutsche Sprache und Literatur, wurde der Ausflüchtige ver­traulicher: Seinen Wunsch,»weit vom Schuß« der Archiv-Einweihung zu bleiben, erklärte er dem Beförderer seiner Ehrendoktorwürde mit der Be­fürchtung, seiner»da zu spielenden Rolle nicht gewachsen« zu sein:»Ich kann mich da nicht mit einem Male gut einreihen. Abgesehen davon, daß einige in den Verwunderungsruf: ›Gott, nun auch hier noch‹ ausbrechen würden, passe ich wirklich in die Sache nicht recht hinein«,»habe ich doch von Goethewissenschaftlichkeit keinen Schimmer und würde jeden Au­genblick die Angst haben: ›Jetzt geht es los.« 7