Heft 
(2015) 100
Seite
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Z u Dimensionen von»Archiv« bei Fontane und Grass  Brosig 79 Dass Fontane sich inmitten der elitären und vorwiegend akademischen Festgesellschaft kaum zu Unrecht als Fremdling dachte, hat Jochen Golz in Berufung auf Fontane selbst betont, der Suphans Einladung»höchstwahr­scheinlich« 8 der Protektion Erich Schmidts zuschrieb. Im Kreise der rang­höheren Schriftstellerkollegen wie Ernst von Wildenbruch, Friedrich Spielhagen oder Felix Dahn hätte er sich doch»eher ungewöhnlich« 9 aus­genommen. Trotz seiner Abneigung gegen den»Goethegötzenkultus« 10 am Ende des 19. Jahrhunderts war Fontane am Weimarer Ereignis jedoch kei­neswegs uninteressiert. So gestand er seinem Freund und Kollegen Paul Heyse eine Woche zuvor, dass er, den»Muth zur Annahme« der Einladung vorausgesetzt,»dergleichen gern einmal gesehn hätte, freilich am liebsten aus der Gondel eines Fesselbalons.« 11 Was Fontane nur aus der Entfernung zu beobachten geneigt war, konnte er nach den Einweihungsfeierlichkeiten einem großen Pressecho entnehmen, in dem das sorgfältig choreogra­phierte Ereignis über die Nationengrenze hinaus nachhallte. 12 Auch wenn Fontane in Diltheys Archiv-Projekt nicht involviert war, fehlt es seinem Werk doch nicht an Archiv-Reflexionen. Sie laufen in einem Bündel von Aussage- und Bedeutungsweisen zusammen, das hier hilfswei­se»Archivkomplex« genannt werden soll. In ihm sind die etablierten Ab­leitungen von»Archiv«, das Archivische, das Archivarische und das Archi­valische, also das die Institution, die Archivarsarbeit und das Archivgut Betreffende, mit den seit Dilthey gültigen Aufgaben von Literaturarchiven verknüpft, mit dem Sammeln, dem Bewahren und dem Eröffnen der Be­stände, d.h. ihrer Zugänglichmachung. 13 In das Metier Fontanes übersetzt, tangiert das im Archivkomplex Verknüpfte gleich mehrere Aspekte seines Schreibens: Berufsverständnis, Arbeitsweise und Poetologie. Um den Ar­chivkomplex auf diesen Feldern zu vermessen, befrage ich zuerst briefliche Autor-Zeugnisse aus dem Umfeld des Akademiejahres 1876 und wende mich danach Fontanes Lebenswerk, seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg zu. Abschließend verlängere ich den Blick in Richtung ­Fontane-Rezeption und beleuchte die Archiv-Konzeption in Günter Grass´ Roman Ein weites Feld aus dem Jahr 1995. Da sich die Ergebnisse des zwei­ten und dritten Beitragsteils an das Mythoskonzept Hans Blumenbergs anschließen lassen, erfolgen kontextualisierende Seitenblicke auf sein Standardwerk Die Arbeit am Mythos(1979).