Heft 
(2015) 100
Seite
84
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84 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte ­ihrer Bestände und den Zustand ihrer Apparate, verweist auf archiva­rische Ordnungs- und Aufbewahrungspraxen und macht darüber auf ­Gefährdung und Vergänglichkeit der Archive aufmerksam. Einige Bei­spiele seien gegeben: So würdigt der Erzähler im Spreeland-Band eine bibliophile Luther­Ausgabe mit Widmungen Melanchthons als»Wertstück und Zierde des Bucher Kirchenarchivs« 52 und deutet den Bestand als Ausdruck der Freund­schaft des Reformators mit Joachim von Roebel. Im Falle des Schlossberg bei Freienwalde-Kapitels im Oderland-Band resultiert das Lob einer»unter Benutzung der verschiedensten Archive« herausgegebenen Archivpubli­kation ganz aus ihrem Gebrauchswert für den genealogischen Erzähler: Wo die Geschichte»jede Auskunft über den Schloßberg selbst verweigert«, ermöglicht eine Urkundensammlung den»mühelosen Verkehr zwischen oben und unten, zwischen Anfang und Ende des Geschlechts« der Uchten­hagens. Sie belehrt über»Vermögensverhältnisse« wie»Verwaltungs­grundsätze[]« und weist die Uchtenhagens als»wahre Muster ritterlichen Wandels« aus. 53 Auch im Marquardt-Kapitel weisen die Archivbestände auf ihre Urheber zurück, allerdings zu ihren Lasten: Die Sichtung des Archivs gipfelt hier in einer ironischen Pointe, wenn der Erzähler Vater und Sohn der Familie von Wykerslot das»fragwürdige Verdienst« zurechnet, das dortige Gutsarchiv aufgrund eines fünfzigjährigen Besitzstreits»mit den meisten Aktenbündeln[] vermehrt zu haben.« 54 Dass Ein- und Ausschlussbedingungen der Archive auf das Archivgut Einfluss nehmen, es durch Entstehungszusammenhang, Sammlungspolitik und-interessen präformiert wird, deutete sich schon im Schlossberg bei Freienwalde-Kapitel an. Die Beschäftigung mit der gerade gewürdigten Ur­kundensammlung führt hier wenig später zu der Erkenntnis, dass diese nichts enthält, was den Wanderungen-Autor wirklich interessiert, nämlich das,»was als eine historische Tat der Uchtenhagens angesehen werden könnte. Vielmehr fehlt nach dieser Seite hin alles und jedes.« 55 Auch die Frage nach dem genauen Ort, an dem Kattes Haupt fiel, könnte im Küstrin ­Kapitel selbst bei Einbeziehung noch unzugänglicher Archivalien nur»an­nähernd«, nicht aber mit» absolute[r] Sicherheit« beantworten werden. Die Ursachen liegen hier in den Lücken der»den Katte-Prozess behandelnden Aktenstücke« im Preußischen Staatsarchiv selbst begründet. Diese Lücken verweisen dabei nicht lediglich auf Unverfügbares, sondern lassen die Se­lektionsmechanismen der zugrundeliegenden Verwaltungs- und Archivie­rungsvorgänge zu Tage treten. Im Falle des Katte-Prozesses leitet sie der Aktenexperte aus dem Entstehungszusammenhang der Archivalien her: »Denn Lokalfragen pflegen in amtlichen Verhandlungen, wenn nicht die Lo­kalität selbst den Gegenstand des Prozesses bildet, immer als etwas Neben­sächliches angesehen zu werden.« 56 Im Falle des nbekannten Enthaupte­ten im Falkenrehde-Kapitel bleiben die Archive gar sprachlos; über die