Heft 
(2015) 100
Seite
85
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Z u Dimensionen von»Archiv« bei Fontane und Grass  Brosig 85 Identität des in der dortigen Kirchengruft Liegenden schweigen sie:»Die Archive, die Akten des Feldzeugamts geben keine weitere Auskunft. Die Hoffnung ist schwach, dieses Dunkel je gelichtet zu sehen.« 57 Die Frage nach der Zugänglichkeit von Archivgut wird naturgemäß dort virulent, wo sie fehlt und die Forscher- und Sammlerinteressen be­hindert. Mit der Offenlegung dieser Verhinderungen macht der Erzähler die Not des Historikers zur Tugend, weil er auf das Leserinteresse setzen kann, das aus den Verweisen zu verborgenem und unzugänglichem Mate­rial erwächst. So im Falle des Archivs der Familie von Wreech in Tamsel. Der Erzähler informiert hier über dessen besonderen Bestand, Briefe und Gedichte der Karschin, in die er zwar Einsicht erhalten habe. Die Verwen­dung der zeitbildlich wertvollen Texte für die Wanderungen sei ihm je­doch verwehrt worden, wie er mittels einer Fußnote mitteilt. 58 Auch die Beweisführung eines natürlichen Todes des im Verdacht der Enthauptung stehenden Grafen Adam Schwarzenberg im Falkenrehde-Kapitel hängt an einer Urkunde. Mit dem Verweis auf deren Unzugänglichkeit klingt der letzte, mit Graf Adam Schwarzenberg betitelte Kapitel-Abschnitt effekt­voll aus:»Auch wurde eine Urkunde darüber ausgestellt, die sich bis die­sen Augenblick, in einem verschlossenen Kasten des Spandauer Kirchen­archivs ­befindet.« 59 Einblick in eine oft beklagenswerte Archiv-Apparatur gewährt der Er­zähler nicht nur aus Gründen der Unterhaltung oder Pointentauglichkeit. Darüber hinaus werden Gefährdung und Vergänglichkeit der märkischen Archive ebenso deutlich wie die der märkischen Geschichte, für die die Archive als deren Medien bürgen. So machte man in Marquardt»eine Tonne zum Archiv«, in die das»reiche Material« der Sammlung des Gene­rals von Bischofswerder»ungeordnet, hineingetan« 60 wurde. Diese» Ton­ne aber, auf der vielleicht einzig und allein die Möglichkeit einer exakten Geschichtsschreibung der Epoche von 1786 bis 1797 beruhte, wurde zum Feuertode verurteilt. Zwei Tage lang wurde mit ihrem Inhalt der Backofen geheizt. Omar war über Marquardt gekommen.« 61 Ganz ohne humoristi­sche Pointe hingegen erzählt Fontane den Untergang des Familienarchivs unter Ferdinand von Katte in Wust( Wust 1820). Der lasterhafte Abkömm­ling einer spiel- und vergnügungssüchtigen Familie verantwortete hier, dass»Akten und Briefschaften, darunter mutmaßlich Dinge von unschätz­barem Wert«, dem»Heizen und Gänsesengen« 62 zum Opfer fielen. Die Be­drohung preußischer Geschichte durch das Ende ihrer Überlieferung mündet in Trauer um die Uneinholbarkeit der Vergangenheit, weil dem Erzähler die Freilegung der»im Verschwinden begriffene[n] Kultur« 63 oft so versagt bleibt wie im Lindow-Kapitel:»Lindow ist so reizend wie sein Name.[] Seine Vorgeschichte versagt; alles Archivalische ward ein Raub der Flammen, und nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß das Kloster eher da war als die Stadt.« 64