Heft 
(2015) 100
Seite
88
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88 Fontane Blätter 100 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte geschädigte Registratorendasein»datenfixierter« Quellenarbeiter auf der einen Seite gegen die vitale, in Fontanes Spuren wandelnde Fonty-Exis­tenz auf der anderen:»[] er war lebendig, während uns der Unsterbliche nur noch Fußnoten, Querverweise und sekundären Schweiß abforderte.« (EwF 579, 586) So augenscheinlich die gegensätzliche Konstruktion von Erzähler und Erzählobjekt, so wenig real, vielmehr konstruiert erschienen beide Figuren der Kritik. Mehr noch als die»schattenhaft« 82 bleibende Fonty-Figur selbst gab der in die Erzählhandlung involvierte Archiverzähler Rätsel auf. 83 Nur schemenhaft und marionettengleich 84 sah man das zumeist in der ersten Person Plural sprechende Erzählerkollektiv vor sich,(wohl) aus vier männ­lichen und zwei weiblichen Mitarbeitern bestehend 85 , das Literarische Quartett sprach gar von»Lemuren« 86 . Obwohl das von ihm»Berichtete bei weitem das[sprengt], was selbst ein Kollektiv bei fast kriminalistischer Ob­servation einer Person in Erfahrung bringen könnte« 87 , so Volker Neuhaus, schien bei seiner Beurteilung nicht gleich auf der Hand zu liegen, dass der Leser es hier mit einer Konstruktion zu tun hat, die in den Relationen realis­tischer Wahrscheinlichkeit nicht aufgeht:»Fragwürdig bleibt ohne Zweifel der Gesamteindruck, der von der Arbeit des Fontane-Archivs zurückbleibt. Sowohl in bezug auf die wissenschaftliche Arbeit als auf die Rolle innerhalb der politischen Konstellation suggeriert oder erwähnt der Roman Zusam­menhänge und Einsichten, die einfach nicht ­stimmen.« 88 So schwer sich die Identität von Erzähler und Erzählobjekt im Rahmen psychologisch-realistischer Erzählwelten bestimmen lässt, so wenig halt­bar erweist sich auch ihr entgegengesetztes Verhältnis. Auf den zweiten Blick weicht die Struktur der Opposition denn auch Komplementärem. An­näherungen herstellende Überkreuzverbindungen deuten vielmehr auf den Verbund der Zweier-Konstellation: So ist der Fontane-Liebhaber Fonty als hauptberuflicher Aktenbote der Treuhandbehörde selbst im Archivmi­lieu beheimatet. In der Potsdamer Institution seines Idols ist er zudem gern gesehener Gast, nicht zuletzt, weil er über enzyklopädisches Fontanewis­sen verfügt und für Archivalienzuwachs sorgt. Obwohl er über eine schöp­ferisch-produktive Seite verfügt, als Verfasser seiner Kinderjahre zum Bei­spiel, gehört er wie das Archiv zum Bereich des Sekundären. 89 Zudem haftet seiner»Totalidentifikation« mit und seiner alle Lebensbereiche um­fassenden»Fixiertheit auf Fontane«»etwas Pedantisches« an;»durch die Vielwisserei auf begrenztem Gebiet scheint das alte satirische Muster des bornierten Gelehrten und das neue des ›Fachidioten‹ durch.« 90 Aber auch die Archivmitarbeiter fliehen die warme Stubenluft der Institution; Fonty wird in seinem Arbeitszimmer und im Freien aufgesucht und sogar des Nachts observiert. 91 Die wiederholt ausgestellte Verbundenheit zwischen Archiv und Prota­gonist macht die Konstellation zu einer bedeutsam-allegorischen. Vereint