Heft 
(2015) 100
Seite
105
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Wolfgang Matz: Die Kunst des Ehebruchs  Brogi 105 ­unmittelbaren Bezug zum Thema des Buchs herstellt. Der dritte Teil, auf den hier nur hingewiesen werden kann, erscheint trotz gelegentlicher Be­züge zu den vorausgegangenen Kapiteln nicht zwingend, weil zu wenig Mühe verwandt worden ist, seine Notwendigkeit zu legitimieren. Behan­delt werden der Reihe nach das Liebesdrama von Lew Tolstoi und seiner Frau Sofja Tolstaja im Rahmen ihrer Tagebücher und späten literarischen Texte, Michel Houellebecqs Elementarteilchen und Ausweitung der Kampf­zone im Kontext der französischen Literatur(auf 23 Seiten) sowie schließ­lich und deutlicher bezogen auf die drei im Mittelpunkt der Studie stehen­den Texte Arno Geigers Alles über Sally. Leider ist nicht nur das Verhältnis der beiden ersten Teile zum dritten Teil unausgewogen. Eine genaue Lektüre erweckt aufgrund von Redun­danzen und Widersprüchen den Eindruck, dass das Werk aus Texten un­terschiedlicher Entstehungszusammenhänge kompiliert und nicht so sorgfältig wie es die Überschriften evozieren, zusammengeschlossen wor­den ist: So trifft die Figuren Crampas und Effi der Vorwurf, kein Ausbre­chen aus den bestehenden Verhältnissen erwogen zu haben(169), obwohl die im Gegenbrief Crampas angedeuteten Fluchtgedanken von Effi Briest in der Abhandlung 70 Seiten zuvor zitiert worden sind, um zu belegen, dass dieser Gedanke im Romankontext nicht plausibel sei(98). Den Lesenden tritt ein äußerst selbstbewusster Verfasser entgegen, der sich den komplexen Romanen anders als in seinen früheren Arbeiten(wie Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge) weit weniger sensibel nähert. Dies äußert sich auf mehreren Ebenen. So durchziehen den Text umgangssprachliche Wendungen, die in einem Vortrag besten­falls für Amüsement gesorgt hätten, in einer solchen langen Abhandlung jedoch fehl am Platz(»doof bleibt doof, da helfen keine Pillen«, 38;»Ihr Charles erweist sich als Niete, also versucht sie es mit dem Bürohengst Léon«, 61;»Die Liebe und der Suff, det reibt den Menschen uff«, 276) oder unfreiwillig slapstickartig wirken(»bis hin zu der errötenden Emma, die ihm das getrocknete Gemächt seines Namenspatrons vor Augen hält«, 112). Quälend sind die schlüpfrigen Töne, die das Thema Sexualität in je­dem Moment präsent zu halten suchen:»Flaubert besorgt es seiner Emma auch so, wie sie es will: ›Oh! Rodolphe![]«, 63. Die Distanz zwischen Re­flexion und fiktionaler Welt(bewusst) verringernd, äußert sich der Verfas­ser bisweilen wie ein Zeitgenosse der Figuren, der mit am Tisch der Dorf­schenke sitzt und Charles Bovary ebenfalls»Schahbovarie«(u.a. 47, 189) nennen darf. Ein wiederkehrender überheblich anmutender Gestus angesichts der ihm als Personen im ›realen‹ Leben unmöglich(unrealistisch!) erscheinen­den Figuren durchzieht vor allem die ersten Kapitel(»Was ist das für eine Frau, die ausschließlich monströse Idioten liebt?«, 93), trifft aber auch die Lesenden, von denen Matz wissen will, dass sie nur Schadenfreude