114 Fontane Blätter 100 Vermischtes Studium dieser Wissenschaft aufzurichten« 7 , und der Brockhaus-Artikel 1877 sprach dann unumwunden so:»[…] widmete sich seit 1835 der Pharmazie, ging 1840 nach Leipzig[…]« 8 , um fortan Pharmazie wie Apothekertum zu kappen. Der Gipfel dann, und damit genug, findet sich in Fontanes selbstverfasster Vorlage für die 13. Brockhaus-Ausgabe 1883. Dort heißt es beinahe schon dreist:»Er war schon damals[nach 1840 – R. B.] geneigt, seinen Lebensberuf zu wechseln und dem Studium der Naturwissenschaften zu entsagen.« 9 Und weiter:»Er hörte mehrere Jahre Chemie bei Heinrich Rose, dessen Vorlesungen und Persönlichkeit ihn interessirten.« 10 Jene wissenschaftlichen Studien hätten ihn jedoch nicht der poetischen Produktion entzogen, so dass deren Erfolge ihn in eine Berufsspur lockten. Der biographische Raum war endgültig gelüftet, kein»Giftbuden«-Mief störte mehr, alle Pillendreherei war aufgehoben im naturwissenschaftlichen und Studiendiskurs. Fontane, dem ein Abitur versagt geblieben war und dessen Name sich in keiner Universitätsmatrikel findet – er hatte die Holpersteine seiner Bildungsbiographie ausgetauscht gegen modernes Kieselgestein, glatt und eben. Und die Realität? Wie sah die medizinischpharmazeutische Realität eigentlich aus, an deren Verdunklung und lebensgeschichtlicher Denunziation ihm so sehr lag? 2 Der von Medizinischem illuminierte Zeitraum, um den es geht, umfasst immerhin weit mehr als ein Jahrzehnt und fällt zusammen mit Fontanes erster poetischer Blüte. Am 28. März 1836 bestand er beim Berliner Königl. Stadtphysikus Dr. Natorp die Aufnahmeprüfung und Natorp war es auch, der ihm nach seiner fast vierjährigen Lehrzeit in der Berliner Apotheke »Zum weißen Schwan« bei Wilhelm Rose(dessen zwei berühmtere Brüder, Heinrich und Gustav, Fontane mit Lexikonartikeln bedenken wird) am 9. Januar 1840 die Prüfung abnahm. Fontane hat sie in seinen Erinnerungen Von Zwanzig bis Dreißig launig erzählt, keine große Hürde. Natorp – »Bulldoggenkopf«,»stark mit Blut unterlaufenen Augen«, die wenig Gutes verrieten 11 – sei gerade von seiner Nachmittagsruhe gekommen,»also[geneigt] zu Grausamkeiten«: »Er nahm zunächst aus einem großen Wandschrank ein Herbarium und ein paar Kästchen mit Steinen heraus und stellte, während er die Herbariumblätter aufschlug, seine Fragen. Eine jede klang, wie wenn er sagen wollte: ›Sehe schon, du weißt nichts; ich weiß aber auch nichts, und es ist auch ganz gleichgültig.‹« 12 Der Lehrherr, Wilhelm Rose, attestierte seinem Lehrling immerhin »Eifer und Treue«, er habe sogar»seine Mußestunden fleißig zum Studium pharmazeutischer und anderer damit verbundener Wissenschaft« 13 genutzt. Wenn das keine Pflichtfloskel war, ist es ein Signal: Fontane, so
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(2015) 100
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114
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