Heft 
(2015) 100
Seite
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Fontane auf medizinisch-pharmazeutischem Terrain  Berbig 117 ­Friedrich Witte zum willkommenen Anlass, sich über das einstige Metier lustig zu machen: »[] nur der Umstand Ihrer fast allzu pharmazeutischen Behausung hat, freilich auch noch unter Lachen, ein flüchtiges Bedauern bei uns rege gemacht. Fahren Sie nur fort, lieber Witte, sich mit gutem Humor in das Unvermeidliche einer pharmazeutischen Schandkneipe(gegen die Eski­mohütten Escuriale sind) zu finden, und Sie haben gesiegt.« 23 Immerhin: Der Rostocker Friedrich Witte(1829–1893) hielt zur Stange, übernahm sechs Jahre später die Apotheke seines Vaters in Rostock und riskierte 1862 den Einstieg ins pharmazeutische Chemiegeschäft. Durch die Gewinnung von Coffein aus Teestaub und des besonders reinen Pep­sins brachte es Witte, der auch als Politiker umtriebig war, mit seiner Fir­ma zum Weltmarktführer. Prominent gleichfalls die»Polnische Apotheke« von Julius Edmund Schacht(1804–1871), in der Fontane 1845 als Gehülfe für ein Jahr einquartiert war und die erst Jahre später in die»Dorotheen­städtische Apotheke« umgewidmet wurde.»Die Apothekerdynastie Schacht war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die bekannteste Apotheker­familie Berlins.« 24 Solche Rangfragen behandelte Fontane in seinen Erinne­rungen beiläufig, fast gar nicht. Sie hatten Geltung, galten für das Pharma­zeutische und Medizinische, auf das er sich verstand oder doch zu berufen verstand, dem Memoirenschreiben indes waren sie abgegolten. Da regierte bei dem rechtschaffenen Schacht zwar ›Prinzipalität‹, aber beinahe mehr noch»das leiseste Stäubchen von Ipecacuanha«. Das nämlich verwandelte den Geschäftsführer jener ehrenwerten Apothekeneinrichtung in einen »von heftigsten Brustkrämpfen« Befallenen, eine, wie der Erzähler in Von Zwanzig bis Dreißig zutreffend bemerkt,»für einen Apotheker verhängnis­volle Eigenschaft«. 25 Und auch die letzte pharmazeutische Einrichtung, in ihr verbrachte Fontane die revolutionären Märztage 1848, erfreute sich bürgerlicher Respektabilität, versorgte die ärmere Bevölkerung mit Un­mengen Lebertran, der als Lampenbrennmaterial statt als Medizin ver­braucht wurde, und ihr Besitzer war hugenottischer Abkunft. Das alles sprach Fontane an und für sie. Es ließ sich gut leben mit ihnen, heißt es in den Erinnerungen,»soweit ein Verirrter, der das Unglück hat, sich für ›Percys Reliques of Ancient English Poetry‹ mehr als für Radix Sarsaparil­lae zu interessieren, mit Personen von ausgesprochener Bourgeoisgesin­nung überhaupt gut leben kann.« 26 Gab es einen Grund, pharmazeutisch Anker zu werfen, dann war es für Fontane jener Jahre die Hoffnung auf ein Wohlleben: sei es in Bethanien, einem Diakonissen-Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg, um»die pharma­zeutisch-wissenschaftliche Ausbildung zweier bethanischer Schwestern zu übernehmen« 27 , oder sei es in der weiteren, wenn auch halbherzigen Ausschau nach in Besitz zu nehmende Apotheken.»Das Liebste wäre mir nach wie vor der Besitz einer Giftbude«, heißt es am 15. Januar 1850 an