Heft 
(2015) 100
Seite
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Fontane auf medizinisch-pharmazeutischem Terrain  Berbig 119 ­doch auf dem Felde des Luftröhrenschnitts und der verfeinerten Technik bei chirurgischen Eingriffen an der Harnröhre. In Bethanien empörten ihn die hygienischen Umstände derart, dass er eine Klageschrift verfasste, in der er die Reinigung des Hauses mit Kanalwasser, die unzulängliche Belüftung der Krankenzimmer, das Fehlen einer Isolierbaracke und die schmutzige Diakonissenkleidung attackierte. 33 Dem Memoiren-Fontane, Wilms Humanität noch über das Ärztliche stellend, blieb als Monitum: »Er hatte keine Spur von Witz und Humor«, er»entbehrte alles geistig Drü­berstehenden. Er wurde nur groß, wenn er das Seziermesser in die Hand nahm.« 34 Das war pointiert formuliert, verdunkelte aber die Erfahrung, die diese Begegnung mit moderner Hygiene bedeuten musste und vor allem, in welchem starken Maße Fontane von diesen Vorstellungen durchdrung­en wurde. Bis an sein Lebensende wird er diesem Gebiet für gesundheitli­ches Wohlbefinden höchste Priorität einräumen. Schlechte Luft etwa(Fon­tane sprach von»malaria« 35 ) oder das Berliner Kanalwasser.»Kleine typhöse Zustände«, schrieb Fontane seiner Tochter August 1891,»kriechen einem dabei immer durch den Körper.« 36 Das führt nach Wilms zum zweiten Arzt. Denn auch der hat sich, worauf John Andrew Phillips in einer kleinen Studie schon 1969 über ihn hingewiesen hat, ausgiebig mit hygienischer Gesundheitsvorsorge be­fasst: James Morris(1826–1900). Ihn hatte Fontane über eine Anzeige bei seinem 1852er London-Aufenthalt kennen gelernt. Dass er ihm im Alter noch einmal zum wünschens- und schätzenswerten Korrespondenzpart­ner werden sollte, hatte eben mit Morris medizinwissenschaftlicher Wen­dung zu tun. Sie war früh in Richtung Sozialhygiene gedriftet, nachhaltig. Januar 1857 etwa veröffentlichte Morris in The Lancet einen substanzrei­chen Artikel über Typhus- und Cholera-Epidemien, im Juli desselben Jah­res einen»über den Effekt meteorologischer Änderungen und Zustände auf das menschliche Leben« 37 , und 1859 endlich erschien sein in mehreren Auflagen gedrucktes Buch Germinal Matter and the Contact Theory: An Essay on the morbid Poisons, their Nature, Sources, Effects, Migrations, and the Means of Limiting their Noxious Agency in London. Es handelte ausführlich über Ansteckungsgefahren, von Krankheiten verbreitenden Bakterien und ging darin eindringlich auf»schmutzige Krankenhäuser« 38 ein und die Notwendigkeit von Durchlüftung und Wasserkanalisation. Als sich die beiden 1852 in London begegneten, dürfte die gemeinsame Apo­theker-Herkunft Bindeglied gewesen sein, und Fontane wird es imponiert haben, mit welcher Durchsetzungskraft sich der sieben Jahre jüngere Morris vom Pillendreher zum Pillenverschreiber ausgebildet hatte. Bereits am 15. April 1852 war er mit»25 Jahren zum Fellow des Royal College of Surgeons of England ernannt« 39 worden. Phillips, dem wir das kleine ver­dienstvolle Portrait Morris verdanken, akzentuiert in seinem Fazit das ­Sozialkritische und die späte gewichtige politische Meinungsprägung