120 Fontane Blätter 100 Vermischtes Fontanes. 40 Nicht minder ließe sich das nachhaltige Medizin- und Hygieneinteresse herausstreichen. Morris‘ 1868 veröffentlichtes Irritability. Popular and Practical Sketches of Common Morbid States, and Conditions Bordering On Disease: With Hints for Management, Alleviation, and Cure lag durchaus auf einer Fontane-Linie, handelte es sich doch um»populäre und praktische Entwürfe von gewöhnlich krankhaften Zuständen, die an Krankheiten angrenzen« – angesiedelt in Seinszonen, denen der Dichter und Erzähler ebenfalls mit höchstem Interesse begegnete. Es wird für Fontane durchgängig umspielt in seinem Potential an Poetischem wie Persönlichem, voller metaphorischer Kraft und kräftigender Lebenspraxis. Weit über ein Menschenleben später, in den neunziger Jahren, stolperte sich Fontane gegenüber dem wiederentdeckten Londoner Bekannten Morris, der ihn nun mit englischen Zeitungsausschnitten versorgte, in den viel zitierten Satz»Die neue, bessere Welt fängt erst beim vierten Stand an.« 41 und schwadronierte mit ihm über Weltreiche – nur über Medizin und Pharmazie, über Gesundheit und Heilung verlor man kein Wort mehr, kein einziges. Das freilich musste Dauergesprächsgegenstand mit dem dritten hier zur Rede stehenden Arzt, Fontanes Hausarzt Wilhelm Delhaes(1843–1912), gewesen sein, Nachfolger von F. Pancritius, dem Fontane Gedankenblitze und»Kühnheit« 42 in seinen Behandlungsmethoden attestiert hatte und der seit 1877 Hausarzt bei Fontanes gewesen war(1887 konsultierte man ihn, als George F. im Sterben lag, aber alle Hilfe kam zu spät). Hausarzt – das hieß, er bekam ein Fixum und behandelte»die Familie in allen vorkommenden Fällen.« 43 Delhaes stammte aus Lippstadt in Westfalen, war holländischer Herkunft und kurz in den Gartenbau ausgeschert, um sich dann der medizinischen Ausbildung zu widmen. Bei Robert Wilms, Fontanes Bekanntem aus Bethanien-Zeiten, hatte er eine Assistenz und die Stelle als Chirurg im Elisabeth-Krankenhaus aufgegeben, als das Geschäft mit den Privatpatienten zu florieren begann.»Delhaes Mittel[meist Opium-, Morphium- oder Coffein-Cocktails 44 – R. B.] helfen immer ein bischen«, schrieb Fontane1893. Aber ein bisschen mehr, so scheint es, half, wenn Fontane selbst die Behandlungsregie übernahm: »Im Uebrigen geht es mir, seit ich eine aus Salzsäure, Pepsin und Nux zusammengebraute Medizin nehme, entschieden besser, woran nur der Verordner selbst, also unser Delhaes, keine rechte Freude hat. Entweder glaubt er nach wie vor, daß ich die Medizin heimlich in die Wasserleitung gieße oder er hat mir meine Aufsässigkeit gegen sein Allheilmittel: Morphium und Kirschlorbeerwasser, noch immer nicht verziehn.« 45 Einig, berichtete Fontane seiner Tochter weiter, sei man sich eigentlich nur auf weitab liegenden Gebieten, was dazu geführt habe, dass man sich »eine Stundelang über Personen unterhalten[habe], die mit Hundeliebe behaftet sind.« 46 So muss denn als vierte und letzte ärztliche Größe F ontane
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(2015) 100
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120
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