Heft 
(2015) 100
Seite
121
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Fontane auf medizinisch-pharmazeutischem Terrain  Berbig 121 selbst ins Spiel gebracht werden. 47 »[I]ch verordne[]« 48 leicht ging es ihm über die Lippen. Bevorzugt rekrutierte sich Fontanes Patientenstamm aus seiner eige­nen Familie, obenan Emilie, die Ehefrau, und Martha, die Tochter. Selbst­bewusst praktizierte Fontane intern, was ihm extern den Selbstwert her­abstufte. Dass Emilie»meine doctornd­ e Geduldshand[] manch liebes Mal gefehlt haben« 49 mochte, konnte er beklagen, wie er verschnupft dar­auf reagierte,»wenn man sich auf meine Behandlungsweise solcher Dinge, die von Diktatorsicherheit[der Ärzte R. B.] absieht«, nicht einlasse, ja nicht einmal»Lust habe[-] auch nur zuzuhören.« 50 Der seiner Kunst ande­ren gegenüber vertraute(und Vertrauen einklagte), legte gegebenenfalls auch schon einmal Hand an sich selbst, etwa bei Zahnschwellungen: »Ich habe kannibalisch ausgestanden, bis ich heut mittag mit Paul Hey­ses kleinem Taschenmesser, das, wie Du weißt, zu allen ernsteren Operati­onen gebraucht wird, viermal durch den reizenden Sack hindurchgefahren bin. Das Weitere erspare mir. Ich fühle mich jetzt wohler,[]. In solchen Nöten lernt man Jesum Christum und die Tugenden einer Haus- und Ehe­frau würdigen.« 51 Medikamentös mischte er nach bestem Wissen darauf los, aber auch bei ihm hatten natürliche Stützungsstoffe wie Rotwein oder Kognak durch­aus Konjunktur, in Maßen, versteht sich, und in Gesellschaft mit ein paar pharmazeutischen Zusätzen. Hausmitteln begegnete er skeptisch, hatte freilich nichts gegen»Dr. Glaubers Wundersalz« oder»Revalenta arabi­ca 52 , mit geschabten Mohrrüben oder Meerettig« 53 von Ei, Rotwein und Braunbier ganz zu schweigen(an Emilie Fontane, 29. Mai 1856). Wissen­schaftler vom Fach, die sich nicht ohne Bierernst des Mediziners Fontane angenommen haben, wogen etwa sein Plädoyer für die Allopathie, also für die Schulmedizin,»die nach dem Leitsatz contraria contrariis curantur (das Entgegengesetzte wird mit dem Entgegengesetzten behandelt) arbei­tet, im Gegensatz zur Homöopathie. Leidet der Patient an Hypertonie, so erhält er ein Antihypertonikum,[]« 54 . Zwar, so meinte der ärztlich agie­rende Fontane, könnten»im Einzelfall[] Dauerlauf, Aeppelwein oder das Pflaster des Schäfers(das ich oft gemacht habe) mehr leisten«, doch»in a long run« siege das alte System als»das einzig vernünftige, das einzig na­türliche[]« 55 . Im innerfamiliären Medizin-Diskurs, kein Zweifel, bean­spruchte Fontane Oberhoheit. Hier ließ er sich das hegemoniale Heft nicht aus der Hand nehmen, hier war ihm sein Fachwissen aus der als verkorkst durchlittenen ersten Berufsphase willkommenes Ferment in der Familien­hierarchie, und hier ›drinnen‹ war er der ›Doktor‹, den ihm das Leben ›draußen‹ vorenthalten hatte bis zum 8. November 1894, als ihn die Fried­rich-Wilhelms-Universität zu Berlin auf Vorschlag von Theodor Mommsen und Erich Schmidt die Ehrendoktorwürde verlieh.