Heft 
(2019) 108
Seite
9
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»Ich kann den Tag nicht wie jeden andern vorübergehn lassen« Wolpert 9 Die feine ironische Skepsis Fontanes gegenüber der»Geburt aller großen Erscheinungen«, die bereits in diesem Brief des Fünfunddreißigjährigen anklingt, wird sich in all den Jahren, die er»auf dieser sublunarischen Welt« (so eine der Lieblingswendungen seines Vaters) 7 noch verweilen wird, nicht mehr verlieren. Und vor allem den Geburtstagen und ihren Begleiterschei­nungen wird er zunehmend distanziert begegnen. Auch wenn er beispiels­weise in Meine Kinderjahre an das höchst selbstbewußt zur Schau gestellte eigene Geburtstagsdatum des Geheimen Kommerzienrats Krause erinnert und damit aufzeigt, was ihm als einem empfindsamen Kind noch so alles Eindruck machen konnte, ist die subtile Ironie des Zweiundsiebzigjährigen Autors dabei kaum zu übersehen: »Alles erging sich in Respekt gegen ihn und der meinige war schon da, bevor ich noch den Vielgefeierten von Angesicht zu Angesicht kennen gelernt hatte. Das hing so zusammen. Am Bollwerk lag ein besonders großes und schönes Schiff, das, vorn am Gallion, statt eines Namens ein­fach die Bezeichnung ›der neunte März‹ trug. Ich fragte, wie das käme und hörte nun, was sofort einen großen Eindruck auf mich machte, daß der 9. März der Geburtstag des alten Krause sei.« 8 In den Briefen des alten Fontane aber äußert sich diese Skepsis gegenüber der Wertschätzung von Geburtstagen direkter, ja, geradezu sarkastisch. So beispielsweise in dem Brief an Karl Eggers vom 4. Januar 1897, 9 in welchem er zwar für dessen Geburtstagsgruß dankt, dann aber fortfährt:»Ein Ge­burtstag ist immer eine wahre Abladestelle von Allgemeinplätzen, deren einzelner schon gefährlich werden kann, während die Masse was geradezu Tödtliches hat.« Der Geburtstag als Vorspiel zum Tod? Zumindest eine kleine Formulierung in dem Brief vom 20. November 1889 an den Chefredakteur der Vossischen Zeitung Friedrich Stephany 10 deutet darauf hin: »Was ich Ihnen in einem langen Schreibebriefe am Montag geschrieben, wird Sie vielleicht überrascht haben, wenn es Ihnen nicht gar als der Ausdruck der Gereiztheit oder Verstimmtheit gegen einzelne gute Freunde erschienen ist. Aber nichts von dem allem. Ich erwarte keine Liebe, ich will einsam begraben sein, ich will auch keine Kränze haben und verzichte auf den ganzen Klimbim, ich will nur, solange ich atme, einfach sagen dürfen, wie ich die Dinge ansehe. Man lebt sich selbst, man stirbt sich selbst; man ist den Menschen gar nichts(ihnen höchstens im Wege), und wenn sich 3 Ausnahmen finden, so steht es auch mit diesen mau genug. Wir hatten ein altes Dienstmädchen, altes originelles Ber­liner Gewächs, das 16 Jahr in unsrem Hause war und all die Kinder hat wachsen und gehen sehn, die wird trauern, wenn ich selber gehe, das andre ist alles nichts. Und nun gar bei dem Vorspiel, das 70. Geburtstag heißt! Haben Sie schon erlebt, wenn man nicht zufällig ein humaner