Heft 
(2019) 108
Seite
11
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»Ich kann den Tag nicht wie jeden andern vorübergehn lassen« Wolpert 11 hat denn Geburtstag?« fragt Abel Hradscheck seine Frau, die schwarz, aber sorgfältig gekleidet in der Hinterstube sitzt und ihm antworten muß:»Nie­mand. Es ist nicht Geburtstag. Es ist blos Sterbetag, Sterbetag Deiner Kin­der. Aber du vergißt alles. Blos Dich nicht.« 16 Männliche Romanfiguren dagegen verbinden Geburt und Tod auf bra­chialere Weise. Sie»wissen« nämlich, daß die Geburtstage von Jungen auf die Jahrtage gewonnener Schlachten fallen sollten. Fontane diagnostiziert dieses nicht nur in Preußen herrschende frahwürdige Denken erzähle­risch, indem er speziell die Geburtstage von Mädchen auf die Jahrtage be­rühmter Schlachten fallen und dies wiederum von Männern kommentieren läßt:»Doktor Hannemann patschelte der jungen Frau die Hand und sagte: ›Wir haben heute den Tag von Königgrätz; schade, daß es ein Mädchen ist. Aber das andere kann ja nachkommen, und die Preußen haben viele Sieges­tage.« 17 Schlimmer steht es aus Sicht des eigenen Bruders noch um Judith, Reichsgräfin von Gundolskirchen, geb. Gräfin Petöfy: »›Da! Schwester Judith scheint sich wie gewöhnlich nicht ganz kurz ge­faßt zu haben. Im Briefeschreiben ist sie noch ganz die Dame des vorigen Jahrhunderts, obschon sie dem unsrigen angehört und sich sogar den Tag von Austerlitz als ihren Geburtstag ausersehen hat. Beiläufig die we­nigst patriotische That ihres Lebens.« 18 In Mathilde Möhring, einem Roman, den Theodor Fontane nicht mehr voll­enden und veröffentlichen konnte oder wollte, fällt ein wenn auch zum Erzählzeitpunkt schon zurückliegender Geburtstag der zentralen Roman­figur mit einer prononcierten Aussage zusammen, die eine verborgene Dia­lektik in sich trägt. Diese Aussage setzt einen Glanzpunkt auf ein sonst eher glanzloses Leben und belebt dieses Leben entscheidend. Doch das, auf was sie verweist, ist aus einem Stein, dem Inbegriff des Leblosen, und sei es ein Edelstein, geschnitten: Mathilde Möhring»hielt auf sich, das mit dem»prop­per« hatte sich ihr eingeprägt, aber sie war trotzdem nicht recht zum Anbei­ßen, was doch eigentlich das Appetitliche ist, sie war sauber, gut gekleidet und von energischem Ausdruck aber ganz ohne Reiz. Mitunter war es als ob sie das selber wisse und dann kam ihr ein gewisses Misstrauen nicht in ihre Klugheit und Vortrefflichkeit aber in ihren Charme und sie hätte dies Gefühl vielleicht großgezogen, wenn sie sich nicht in solchen kritischen Momenten eines unvergesslichen Vorgangs entsonnen hätte. Das war in Halensee ge­wesen an ihrem 17[.] Geburtstag, den man mit einer unverheiratheten Tante in Halensee gefeiert hatte. Sie hatte sich in einiger Entfernung von der Ke­gelbahn aufgestellt und sah immer das Bahnbrett hinunter um zu sehn wie viel Kegel die Kugel nehmen würde, da hörte sie ganz deutlich, daß einer der Kegelspieler sagte»sie hat ein Gemmengesicht.« Von diesem Worte lebte sie seitdem.« 19