Heft 
(2019) 108
Seite
12
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12 Fontane Blätter 108 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Erschütternder noch ist eine Szene in Grete Minde, als diese, Tochter einer landfremden katholischen Mutter,»in freudiger Erregung eine Goldkapsel aus ihrem Mieder zieht«, um diese Gigas zu zeigen, dem alten Tangermünder lutherischen Prediger,»der nicht nur das menschliche Herz kannte, sondern sich aus erbitterten Glaubenskämpfen her auch einen Schatz ächter Liebe gerettet hatte«. Diese Goldkapsel ist ein Andenken.»Ein Andenken von mei­ner Mutter. Und es ist alles, was ich von ihr hab. Ich habe sie nicht mehr gekannt. Ihr wißt es. Aber Regine hat mir das Kettchen umgehängt, als ich meinen zehnten Geburtstag hatte. So hat sies der Mutter versprechen müs­sen, und seitdem trag ich es Tag und Nacht.« Die goldene Kapsel jedoch birgt einen»Splitter von seinem Kreuz.« 20 Grete Minde wird ihr Kreuz auf sich nehmen 21 müssen und darunter zerbrechen. Spätestens hier stellt sich uns die Frage: Ist Fontane auch auf seine eige­ne Geburt erzählerisch eingegangen? Und wenn ja, wie erzählt er davon? Es ist sehr aufschlußreich, hier die beiden großen autobiographischen Romane des 19. Jahrhunderts zu vergleichen. In Dichtung und Wahrheit hat Johann Wolfgang von Goethe die eigene Geburt unmittelbar an den Anfang seines Erzählens gestellt und diese seine Geburt zugleich in herausragender Konstellation zu mythisch-kosmischen Kräften gesehen: »Am 28. August 1749, Mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Ju­piter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der so eben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorüberge­gangen.« 22 Theodor Fontane hingegen hält in Meine Kinderjahre nur ganz lapidar das Datum seiner Geburt fest und legt die Betonung ganz auf das Zwischen­menschliche: »Am 27. März waren meine Eltern in Ruppin eingetroffen, am 30. De­cember selbigen Jahres wurde ich daselbst geboren. Es war für meine Mutter auf Leben und Sterben, weshalb sie, wenn man ihr vorwarf, sie bevorzuge mich, einfach antwortete ›er ist mir auch am schwersten ge­worden.« 23 Insofern dürfte es interessant sein, sich zu vergewissern, welchen Sitz im Leben(und Schreiben) die Geburten der sieben Kinder des Ehepaars Fonta­ne gehabt haben, und ob und in welcher Weise der Vater diese den Freunden und Bekannten angezeigt hat. Doch sei es erlaubt, vorher einen kleinen Ex­kurs einzuschieben: