18 Fontane Blätter 108 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes wohl auch deshalb, weil er in diesem Geburtsgruß des Vaters, der so subtil Existentielles mit einer scheinbaren Leichtigkeit der Sprache zu verknüpfen vermochte, auch etwas von sich selbst wieder gefunden haben dürfte. In Meine Kinderjahre wird er später festhalten: »Ich habe diese Neigung, in scherzhaftem Tone[…] in diffizile Debatten einzutreten, von ihm geerbt, ja, diese Neigung sogar in meine Schreibweise mit herübergenommen und wenn ich entsprechende Szenen in meinen Romanen und kleinen Erzählungen lese, so ist es mir mitunter, als hörte ich meinen Vater sprechen. Bloß, daß ich sehr hinter ihm zurück bleibe, was mir, als er schon über 70 und ich, dem entsprechend auch schon leidlich bei Jahren war, von Leuten, die ihn noch in seiner guten Zeit gekannt hatten, oft gesagt worden ist. ›Hören Sie‹, so hieß es dann wohl ›Sie sind ja so weit ganz gut, wenn Sie mal ihren glücklichen Tag haben, aber gegen ihren Vater können Sie nicht an.‹ Und das traf auch sicherlich zu.« 45 Allein deshalb schon ist es höchst bedauerlich, daß neben der»Entbindungs=Anzeige« vom 15. Januar in der Spenerschen Zeitung 46 kein wie auch immer gearteter persönlicher Brief des Vaters zur Geburt seines ersten Sohnes für uns Leser erhalten geblieben ist. Hatte ihm die»schwere Entbindung«, auf die er sogar in der Geburtsanzeige eigens hinweist, die ihm im persönlichen Umgang so wichtige»leichte« Sprache verschlagen? Oder sind die Briefe verloren gegangen? Zumindest hätte er mehr sagen müssen als das, was sein eben geborener ältester Sohn sechzig Jahre später einem Freund zu bedenken gibt:»Die Geburtstage haben das Schlimme, daß man an ihnen geboren wurde, aber das Gute, daß man sich Briefe schreibt und von einander hört.« 47 Vielleicht hätte der Vater von seiner Angst schreiben müssen, hätte sagen müssen, daß»Geburtstage« die Mütter in ein Grenzland zwischen tiefster Not und Seligkeit führen können. Und hätte sich fragen müssen, was so ein Anfang»auf Leben und Sterben« 48 aus einem Menschenleben macht.
Heft
(2019) 108
Seite
18
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