Heft 
(2019) 108
Seite
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»Meine beiden Freunde: Goethe und Fontane« Muhs 35 Wort und Schrift von Anfang an Partei für den Nationalsozialismus genom­men hatte, universitätsintern aber eine gewisse Autonomie der Wissen­schaft zu wahren suchte und verschiedentlich rassisch verfolgten Kollegen und Schülern zu Hilfe gekommen ist, nicht zuletzt Charlotte Jolles, der spä­teren ersten Ehrenpräsidentin der Fontane-Gesellschaft. 6 Welche Aussage übrigens der Dichter mit der Anekdote von der dicken Klempnermadamm verbinden wollte, für deren Kropf der Hinrichtungs­block eigens ausgeschnitten werden mußte, ist mit Sicherheit nicht zu ent­scheiden. Jedenfalls stieß Gundermanns Schlußfolgerung, dass letzten En­des alles»von den Sozialdemokraten« kommt, selbst in der Tafelrunde von konservativ-reaktionären Parteigängern auf Widerspruch. Die Todesstrafe als solche stand nicht zur Debatte, und»dat kommt davon«, die Devise von Fontanes Delinquentin, scheint sich auch Popitz zu eigen gemacht zu haben. Beamter, der er war und selbst im Widerstand blieb, gab es für ihn keinen Zweifel, dass der Staat das Recht hatte, ihn zu töten.»Wenn ein Mann in seiner Position sich zum Handeln entschlossen habe«, so zitierte ihn we­nigstens nach dem Kriege ein Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptam­tes, der den Todeskandidaten in seiner Zelle mehrfach gesprochen hatte, dann müsse er»im Falle des Scheiterns auch die Konsequenzen tragen«. Das klingt glaubwürdig, selbst wenn sich der Betreffende mit dieser Aussa­ge zugleich ein Stück weit selbst entlasten wollte. Jedenfalls ist Popitz dem Tod ebenso gefasst entgegen gegangen wie Fontanes fiktionale Klempnermadamm. Er hat aber, artikulierter als es die­ser vom Dichter zugebilligt wurde und zweifellos mit mehr Recht, für sich und sein Tun eine höhere Rechtfertigung in Anspruch genommen. Dafür schuldet ihm die Nachwelt ein ehrendes Gedenken, obwohl Popitz alles an­dere als ein überzeugter Demokrat war. Parteiwesen und Parlamentaris­mus behagten ihm ebenso wenig wie er frei von antisemitischen Vorurtei­len war. In dieser Hinsicht stand er innerhalb des nationalkonservativen Widerstands keineswegs allein. Dessen Vorbehalte gegenüber demokra­tischen Regierungsformen sind seit langem bekannt, während seine ambi­valente Stellung zur»Judenfrage« erst in jüngerer Zeit verstärkte Auf­merksamkeit und kontroverse Deutungen erfahren hat. 7 Wenn Popitz beiläufig vom»jüdischen Witzeln« spricht 8 , so ist das zwar, zumal in Ver­bindung mit dem Vorwurf des»krassen Naturalismus«, zunächst als Dis­tanzierung von der literarischen Moderne zu verstehen, offenbart aber zugleich seine unbefangene Verwendung eines Topos, der seit den Debat­ten um Heine und Börne zum Kernbestand des antisemitischen Jargons gehört. 9 Die Form der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik lehnte Popitz indes strikt ab und reichte nach den Ausschreitungen der»Kristall­nacht« von 1938 seinen Rücktritt als preußischer Finanzminister ein. Dass dem nicht stattgegeben wurde, war der entscheidende Auslöser für seinen