Heft 
(2019) 108
Seite
38
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38 Fontane Blätter 108 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes hältnis handelt, nicht, daß über Goethes überragende Stellung kein Zweifel besteht, und daß Fontane uns Norddeutschen, vor allem dem Preußen, ein eigner Besitz ist. Was ich ihnen danke, ist nicht nur Belehrung, Genuß, Un­terhaltung, es ist etwas Köstliches: Trost. In allen schweren Stunden meines Lebens und sie waren zahlreich, wenn keine Lektüre die Aufmerksam­keit fesseln wollte, wenn die Gedanken von dem Traurigen, Erregenden, Bedrückenden sich nicht loslösen ließen, wenn sie ruhelos umherschweif­ten, hat einer der beiden mich freundlich bei der Hand genommen und mich mitgenommen in sein Reich, der eine in sein weltumfassendes, vielgeglie­dertes Kaiserreich, der andere in sein kleines, wohlangebautes Fürstentum. Dabei ging, so scheint mir, der Einfluß zunächst nicht so sehr vom Inhalt aus; nicht was ich las, war entscheidend ich kannte es ja auch längst, son­dern die Art der Darstellung hatte die heilende Wirkung. Der eine zwang mich in den ruhigen, abgemessenen, souveränen Fluß seiner Sätze, der an­dere durch sein gemütvolles, alles verstehendes Plaudern. Da wird nicht ge­predigt, es werden keine Thesen aufgezwängt, nicht Urteilssprüche verkün­det und Ketzer gerichtet, sondern es wird gleichsam ein vielgestaltetes Bild von großen und kleinen Gegenständen und Begebenheiten ausgebreitet, Anschauung vermittelt und darauf erst die Meinungen erörtert oder auch nur nahegebracht. Es ist also der Stil, der den Lesenden von seinen drängen­den Gedanken behutsam loslöst und ihn die Wege mit sich führt, die ihm der Dichter bereitet hat. Und wenn nach bekanntem Wort der Stil die Persön­lichkeit ist, so ist es diese, die ganz unmerklich als Gedankenpartner dem Leser gegenübertritt und sich als Begleiter darbietet und zu Geist und Ge­müt zu sprechen beginnt. Damit freilich ist die Parallele, die für mich zwi­schen beiden besteht, zu Ende. Denn was sie sprechen, das ist nun miteinan­der nicht vergleichbar, und die Wege, die sie uns geleiten, sind verschieden. Bei Goethe ist es noch etwas Besonderes, ja Einzigartiges, das ihn für den, der einmal seine Macht verspürt hat, mehr werden läßt als den Dichter, den Denker, den Künder tiefster Weisheiten und den Erzieher. Es ist er selbst, der Mensch Goethe, der Mann, der in Frankfurt und Weimar ein Leben durch fast 83 Jahre hindurch lebte. Keines seiner Werke erschöpft sich in der Wirkung, die es für sich allein, als Dichtung, als Kunstwerk aus­übt, sondern immer drängt sich die Frage auf, wer war das, der das dichte­te und aussprach, wie waren die Lebensumstände, die hier ihren Ausdruck finden. Nicht nur, daß ein sehr großer Teil von dem, was er schrieb, unmit­telbar ihn selbst behandelt, auch, wo er nicht Träger der Darstellung ist, erzählt er immer und je von sich. Er ist also der Mensch, der nur dann etwas für bedeutsam und mitteilungswert hält, wenn es ihn ganz persönlich be­trifft und angeht. Aber nicht, indem er etwa nur für sich selbst schreiben wollte, er hat vielmehr das Selbstbewußtsein, daß alles, was ihn angeht, auch andren etwas geben müßte, und zwar, ohne daß es dabei einer beson­deren von ihm ablenkenden Einkleidung bedürfte. Wenn es nun zu der