46 Fontane Blätter 108 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes in»Unwiederbringlich«. Sonst zahlen sie, die Schicksalsgeschlagenen, tapfer und lebensnahe, wie in»Irrungen und Wirrungen«, wie die prächtige Pauline in»Stine«, wie der großartige Professor in Jenny Treibel und das schuldige Paar in»L’Adultera”. Und das Schicksal dankt es ihnen, wenn auch nur – wie in Effi Briest – mit einem Abendrot voll Wehmut und letzter Wärme, das über ihnen abschiednehmend leuchtet. Daß diese verstehende Güte bei Fontane nicht weichliche Veranlagung, sondern auch von ihm mühsam errungene Weisheit ist, das zeigen seine Briefe, die oft genug voll Bitterkeit sind. Aber die Bitterkeit führt eben zu nichts, die Mahnung heißt »verstehe, steh’ darüber«. – Wichtig ist auch bei Fontane sich die Lebensumstände klar zu machen, unter denen sein Werk entsteht. Wie Goethe am Anfang, so steht Fontane am Ende des verhängnisvollen 19. Jahrhunderts. Es ist interessant genug, daß auch er das Problem der»Verfassung der Gesellschaft« kennt und in seiner Wichtigkeit versteht. Wohl sind die Privilegien des Adels de iure inzwischen friedlich gefallen, aber noch lebt er in seiner Besonderheit. Aber auch Fontane sieht darin – wenn auch die Briefe manchmal ein schärferes Urteil enthalten – nicht Anmaßung, sondern diese selbstbewußten Edelleute interessieren ihn und ziehen ihn an. Er sucht ihr Wesen zu ergründen und zu verstehen. Dabei steht ihm der märkische Edelmann im Vordergrund, er ist der Held seiner Geschichten und er zeichnet ihr[sic!] Bild, als wolle er noch einmal festhalten, was die neue Zeit dem Untergang geweiht, festhalten, weil es dessen wert ist. Er teilt dabei keine Prädikate aus. Er läßt sie einfach handeln, so wenn Bodo die lange Fahrt zum Bahnhof macht, um der alten Gärtnersfrau den im Scherz versprochenen Kranz aufs Grab zu legen, oder der alte Graf den Wagen anhält, um Stine den Platz neben sich anzubieten, oder die Familie des bei St. Privat gefallenen Hauptmanns sich tapfer durchs Leben schlägt, oder der alte Stechlin seine letzten Gespräche mit dem Gendarmen führt. Wenn er die Überspannung des Standesgefühls zu tadeln hat, so läßt er Effi von ihrem Mann nur die paar Worte sagen:»er war so edel, wie ein Mann sein kann, der ohne rechte Liebe ist« oder er läßt dem, der dem Gesetz des Standes sein Opfer und das seiner Liebe gebracht hat, die bittere Selbsterkenntnis am Schluß von»Irrungen und Wirrungen«. Aber Fontane lebt nun auch in einer Umwelt, in der sich nur zu sehr die Befürchtungen verwirklichen, die Goethe sah, als er die gesellschaftliche Grenzlinie zwischen Edelmann und Bürger als etwas Gegebenes hinnahm und den Bürger noch nicht für reif ansah, um eine Persönlichkeit herauszubilden. Die Grenzlinie ist gefallen, der Bürger aber, der nun das gesellschaftliche und politische Leben tragen soll, heißt Treibel und seine Frau heißt Jenny und beide sind die Typen ihrer Zeit. In den Briefen zeigt sich die schwere Sorge, mit der Fontane diese Entwicklung sieht. Wir wissen, wie groß die Verwüstung ist, die diese Zeit, die schließlich in die wilhelminische übergeht, angerichtet hat. Eines freilich gelingt – und das ist in erster Linie gerade auch Fontanes Verdienst. Die
Heft
(2019) 108
Seite
46
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