50 Fontane Blätter 108 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Ein Besuch im Theodor-Fontane-Archiv der Deutschen Staatsbibliothek am 30. Dezember 1969 anlässlich des 150. Geburtstages Theodor Fontanes. Transkription einer Radiosendung des Rundfunks der DDR(Deutschlandsender) Herausgegeben und eingeleitet von Maria Brosig Die nachstehend transkribierte Radiosendung des Rundfunks der DDR wurde am späten Abend des 150. Geburtstages von Theodor Fontane 1969 ausgestrahlt. 1 Den knapp halbstündigen Beitrag aus der audiovisuellen Mediensammlung des Theodor-Fontane-Archivs bestimmen die Einlassungen von Joachim Schobeß und Hans-Heinrich Reuter. Der Bibliothekar Joachim Schobeß(1908–1988) war zum Zeitpunkt der Sendung Leiter des soeben in die Deutsche Staatsbibliothek(Ost) eingegliederten Fontane-Archivs und hatte die von schweren Bestandsverlusten betroffene Einrichtung seit 1950 zu einer anerkannten Sammlungs- und Forschungsstelle entwickelt, nicht zuletzt durch die auf seine Initiative gegründeten Fontane Blätter. Der Literaturwissenschaftler Hans-Heinrich Reuter(1926–1978) war im Fontane-Jubiläumsjahr Mitarbeiter der Nationalen Forschungsund Gedenkstätten der Klassischen Deutschen Literatur in Weimar. Neben seiner Beschäftigung mit der Literatur des 18. Jahrhunderts hatte er sich ab 1959 kontinuierlich mit Fontane befaßt 2 und mit seiner 1968 erschienenen zweibändigen Fontane-Biographie Maßstäbe gesetzt. 3 Die in Ost- und Westdeutschland geschätzte Arbeit stand im Vorfeld des Jubiläumsjahres indes nicht allein, auch wenn sie aus ihm herausragte. 4 Zu ihrem engeren Umfeld gehörten zahlreiche neue Forschungsarbeiten und Editionen, 5 die die Rede von einer»Fontane-Renaissance« 6 begründet hatten. Wenngleich man diese»Renaissance« für beide deutschen Staaten reklamierte, bezog sich der Ausdruck in der DDR doch auf abweichende Positionen und Tendenzen, die in der staatlichen Erbepolitik begründet lagen. Grund und Beginn dieser»Generaltendenz« 7 markierte Georg Lukács’ Essay Der alte Fontane 1951. Darauf abzielend, die großen realistischen Erzähler für eine sozialistische Literatur zu kanonisieren, interpretierte er Fontane als schwankende Gestalt und als unbewussten Ankläger der preußisch-wilhelminischen Ordnung von insgesamt zunehmender Fortschrittlichkeit. Verstärkt durch die Publikation des Fontane-Friedlaender-Briefwechsels(1954), der das Bild des kritischen Realisten mit radikalen,
Heft
(2019) 108
Seite
50
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