Heft 
(2019) 108
Seite
52
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52 Fontane Blätter 108 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Sprecher: Moderator Reporter Leser Interviewpartner: Hans-Heinrich Reuter und Joachim Schobeß Transkription: Hendrikje Friedrich Moderator: Da macht seit einiger Zeit, und dies nicht nur hierzulande, ein Wort die Runde, das sich in Verbindung mit einem großen Dichternamen recht merkwürdig ausnimmt. Literaturwissenschaftler und Kritiker spre­chen von einer Fontane-Renaissance. Und das klingt, so kommentarlos for­muliert, als habe dieser Schriftsteller bislang das traurige Schicksal vieler zeitgenössischer Kollegen teilen müssen, deren Nachruhm immer mehr ver­blasste und deren Leserschar heute zu einem kleinen, fast überschaubaren Häuflein zusammengeschmolzen ist. Man denkt beispielsweise an Stifter oder Conrad Ferdinand Meyer, mit denen die Nachwelt offenbar nichts Rechtes mehr anzufangen weiß, die in einer dunklen, windstellen Ecke der deutschen Literaturgeschichte geduldig darauf warten, dass sich ihrer nicht nur eine kleine Lesergemeinde erinnert. Aber Fontane, halten wir fest: Das Los solcher Autoren blieb ihm erspart. Sicher, es hat in den sieben Jahrzehn­ten nach seinem Tode Zeiten der Fontane-Nähe und Fontane-Ferne gegeben, doch sein Werk war genau genommen eigentlich nie in Gefahr, ignoriert oder gar vergessen zu werden. Seit Thomas Mann 1910 seinen richtungwei­senden Aufsatz Der alte Fontane veröffentlichte, scheint der künstlerische Rang des Autors unumstritten. Seine Bücher jedenfalls fanden ihr Publikum auch ohne großen Reklameaufwand. Aber dies allein will wenig besagen, dann die Sache hat, und auch das ist festzuhalten, noch eine andere Seite, die durch Auflagen und Verkaufsziffern nicht erfasst werden kann. Das Wort von der Fontane-Renaissance ist schließlich nicht zufällig entstanden. Frei­lich, es bedarf der Erläuterung. Dr. Hans-Heinrich Reuter, Weimarer Litera­turhistoriker, Autor einer zweibändigen Monografie, führender Fontane­Forscher der Welt, antwortet: Hans-Heinrich Reuter: Fontane-Renaissance ist zunächst einmal grundsätz­lich und allgemein zu fassen, als Teil der großen Renaissance der Wiederbe­sinnung auf die humanistischen Traditionen der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Eine Wiederherstellung ihrer humanen, demokrati­schen und realistischen Inhalte und Methoden. Das ist der allgemeine As­pekt. Der spezielle Aspekt bei Fontane ist, dass diese Tendenzen bei ihm besonders ausgeprägt sind und es darum geht, ihre vielfach mutwillig-bös­willige Entstellung und Verschüttung wiedergutzumachen.