Heft 
(2019) 108
Seite
53
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Rückblick: Ein Besuch im Fontanearchiv 1969  Brosig 53 Reporter: Es hat ja schon einmal eine Fontane-Renaissance gegeben, wenn ich mich nicht irre, in den 20er-Jahren. Also bevor Hitler an die Macht kam. Hans-Heinrich Reuter: Sehr richtig. Man muss die Wirkungsgeschichte Fon­tanes immer im engsten Zusammenhang mit der politischen Geschichte se­hen. Er selbst hat auch im Hinblick auf seinen eigenen Lebenslauf diesen Zusammenfall, diese Übereinstimmung, betont. Und es ist sehr interessant, dass diese erste Fontane-Renaissance zu Anfang der 20er-Jahre genau mit den hoffnungsvollen Ansätzen der Weimarer Republik zusammenfiel, und mit dem Abbau dieser Ansätze und mit dem schließlichen Verrat des deut­schen Bürgertums und dem Übergang zu Hitler verebbte auch die erste Fontane-Renaissance in immer kleinen Schlägen. Reporter: Heißt Fontane-Renaissance auch, dass das Werk Fontanes sich im­mer größere Leserkreise auch in der übrigen Welt erschließt? Ist Fontane heute ein Dichter von weltliterarischem Rang? Hans-Heinrich Reuter: Unbedingt! Das kann nur bejaht werden. Die Fontane-­Rezeption reicht weit über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus. Reporter: Ist das ein Ergebnis der letzten Jahre oder kann man diesen Vor­gang schon länger beobachten? Hans-Heinrich Reuter: Es ist im Wesentlichen ein Ergebnis der letzten an­derthalb Jahrzehnte. Moderator: Die Geschichte der Fontane-Ehrung ist lang, aber wenig ruhm­voll in der Vergangenheit. Selbst prominente Germanisten leisteten sich bei Betrachtungen des Mannes und seiner Werke viele Urteile und verhängnis­volle Deutungen, die zusammengenommen eher eine Geschichte der Fonta­ne-Verkennung ergeben. Ihr Höhepunkt fällt in die Ära brauner Barbarei, als aus dem Dichter plötzlich der Künder völkischer Werte wird und ein namhafter Forscher den Roman Effi Briest als eine»Seelenkunde des Mär­kertums« preist, weil Fontane darin die Gefühle gesunden Volkstums und märkischer Natur gegen eine erstarrte Ordnungswelt gesetzt habe. Gegen eine Welt versteht sich die nicht mehr Ausdruck völkischen Wesens ist. Ignoranz und Verfälschung auf der ganzen Linie. Und dieses Kapitel ist von denen, die es verfassten, ausdrücklich mit»Fontane-Rettung« überschrie­ben. Aber lassen wir die völkischen Interpreten ruhen, entziehen wir ihnen das Wort und auch den Begriff»Rettung«, der seinen höhnischen Klang erst verliert, als ihnen wenigstens in einem Teil Deutschlands das Handwerk gelegt ist. Als politische und soziale Ereignisse von historischem Gewicht,