Rückblick: Ein Besuch im Fontanearchiv 1969 Brosig 59 Moderator: Ein weiteres Beispiel: 1968 legte Gotthard Erler im Aufbau-Verlag eine zweibändige Auswahl der Fontane-Briefe vor. Ergänzung der fünfbändigen Werksammlung, die schon vorher in der Bibliothek Deutscher Klassiker erschienen war. Auch sie, zuverlässig wie nur ganz wenige Briefeditionen, ist ohne das Potsdamer Archiv nicht denkbar. Immerhin ging dem Unternehmen eine sensationelle Entdeckung voraus: Bei vergleichenden Untersuchungen im Archiv hatte Hans-Heinrich Reuter vor ein paar Jahren entdeckt, dass frühere Sammlungen dieser Art wissenschaftlich total wertlos sind. Familienmitglieder und Nachlasserben hatten die Texte bedenkenlos amputiert, indem sie Anspielungen auf Zeitgenossen und Zeitumstände einfach mit dem Rotstift tilgen oder, Höhepunkt dieser erschreckenden Familienphilologie, aus zwei Briefen kurzerhand einen herstellten und diesen dann mit einem fiktiven Datum versahen. All diese Verstümmelungen galt es zu beseitigen. Eine Arbeit, die nur anhand der Originale und der Abschriften im Fontane-Archiv geleistet werden konnte. Die Frage liegt nahe: Kann man sagen, dass die Potsdamer Schatzkammer unerlässlich ist für jede künftige Fontane-Edition und-Publikation? Joachim Schobeß: Das möchte ich annehmen. Wir haben heute wieder den größten Bestand an Fontane-Handschriften, aber auch an Fontane-Literatur. Und der Beweis ist ja die weltweite Benutzung des Archivs. Wir haben also Forscher und Doktoranden aus Übersee fast in jedem Jahr bei uns, die also acht, vierzehn[Tage] 10 , manchmal sogar drei Wochen bei uns arbeiten. Ja, auch aus Westdeutschland haben wir Benutzer. Reporter: Mit anderen Worten: Das Fontane-Archiv ist auch eine Stätte der internationalen Fontane-Forschung geworden. Aus welchen Ländern kommen die Besucher? Joachim Schobeß: Ja, Sie haben sich ja schon das Gästebuch angesehen. Sie finden hier Eintragungen von Germanisten aus Bulgarien, Polen, aber auch aus Australien, England, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und auch aus Westdeutschland und auch aus Westberlin. Schwerpunkte unserer Zusammenarbeit haben wir mit den Universitäten Pozna, hier Lehrstuhlinhaber Professor Dr. Kodera, und vor allem mit der Universität Paris, hier ist Lehrstuhlinhaber für Germanistik der Professor Dr. Sagave. Reporter: Darüber hinaus bekommen Sie sicherlich auch Anfragen schriftlicher oder mündlicher Art. Joachim Schobeß: Ich habe in diesem Jahr 1969 118 schriftliche Auskünfte erteilt. Auch ins Ausland und nach Westdeutschland.
Heft
(2019) 108
Seite
59
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten