Heft 
(2019) 108
Seite
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Fontane und Fontane  Berbig 71 derungen der sechziger Jahre ebenso wie seine Kriegsbücher und hatten auch seine journalistische Bindung an die Kreuzzeitung samt deren Kreise legitimiert. Dieses Gebundensein, freien Willens, zeichnet das bisherige Werkprofil und erklärt es. »Es kam anders.« 34 So steht es im Tagebuchfazit über diese Frankreich­Expedition, so traf es zu und die Folgen waren folgenreich. Wer eine These von Tragweite will, hier ist sie: Der als vaterländischer Schriftsteller am 27. September 1870 aufgebrochen war, kehrte am 5. Dezember 1870 an sei­nen Schreibtisch zurück, diese Schreibära zu beenden. Fontane war ge­zwungen, sich seiner Schriftstellerei zu vergewissern. Er musste sie neu qualifizieren. Zwei Bücher, die er kurz hintereinander verfasste, dokumen­tieren den Wandel: nicht lärmend, nicht bekennerhaft mit aufgerissenem Hemd,»hier stehe ich und kann nicht anders«. Nein, er konnte anders, nur wollte er nicht mehr. Wie lebensgebildet muss einer sein, der ohne Spekta­kel einen solchen spektakulären Schritt geht! Die Loslösung erfolgte sub­lim, nebenher, szenisch, nicht in Sentenzen. Das erste Buch trägt den Titel Kriegsgefangen. Erlebtes 1870. Die Vossi­sche Zeitung druckte vom 25. Dezember 1870 bis zum 26. Februar 1871 eini­ge Abschnitte vorab, die Königliche Geheime Oberhofbuchdruckerei des Verlegers Rudolf von Decker das Ganze 1871. Das zweite Buch, gleich zwei­bändig Aus den Tagen der Occupation. Eine Osterreise durch Nordfrank­reich und Elsaß-Lothringen 35 entstand während und nach der zweiten Frankreich-Reise Fontanes. Sie fiel in die Zeit zwischen dem 9. April und 16. Mai 1871. Ausgesprochen und unausgesprochen kreisen beide Bücher um ein Ereignis, ja vielleicht sogar nur um einen Tag, eine Stunde einen Augenblick: den der Gefangennahme Fontanes durch ein französisches Freikorps(Franctireurs) am 5. Oktober 1870 in Dom Rémy und der drohen­den Hinrichtung.»Hier war das Todtschießen nah.« 36 So steht es im resü­mierenden Tagebuch am Jahresende, und so hatte es real gestanden. Fontane war der Spionage verdächtigt worden, nicht Weniges sprach dafür für die Franzosen alle Indizien: preußische Papiere, prominente Be­kanntschaft mit preußisch-hochrangigem Militär, kryptische Notizbuch­Einträg aller Art. Der seidene Faden, an dem Fontanes Leben hing, er droh­te zu reißen. Dass er nicht riss, verdankte er Intervention von höchster Seite. Am 6. Oktober 1870 schrieb Fontane an seine Frau Emilie, sie möge mit Freundeshilfe und über Gesandtschaften»die französische Regierung wissen[] lassen, dass ich eben weiter nichts als ein Schriftsteller pur et simple bin,[]« 37 . Der Freundeskreis, vor allem Moritz Lazarus, Rütlione, Völkerpsychologe, Professor und bekennender Jude, vermittelte: statt des Todes blieb Fontane die Todeserfahrung.»Todesangst ist Todesangst«, wird Fontane noch zwanzig Jahre später schreiben,»auch wenn man mal leben bleibt.« 38