Heft 
(2019) 108
Seite
72
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72 Fontane Blätter 108 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Zum ersten Mal war Fontane Gegenstand öffentlichen Interesses geworden. Meine Gefangenschaft hat mich zu einer Sehenswürdigkeit(Rhinoce­ros), zu einem nine days wonder gemacht; die»Gartenlaube« ist sogar drei Tage lang entschlossen mich, mit Text und Holzschnitt, unter die berühmten Zeitgenossen aufzunehmen, besinnt sich aber schließlich ei­nes Beßren, da sie erfährt, daß alle meine Glieder heil geblieben sind. 39 Fontanes Ironisierung im Tagebuch suchte das Sensationelle, das sich uner­wartet mit seiner Person verband, zu bagatellisieren. Wer ihn nicht kannte, und das waren die meisten, kannte ihn nun dem Namen nach. Die zudring­liche Haltung der Pressmedien verlangte nach Bildern.»›Um das Rhinoze­ros zu sehn‹«, dränge sich jetzt alles an ihn, so kurz nach seiner Heimkehr Dezember 1870,»nicht bloß an meine Person, sondern selbst an noch unge­borene Manuskripte.« 40 Fontane nutzte die Aufmerksamkeit, die ihm galt, und vergalt sie mit Autobiographischem. Das war nicht ungewöhnlich, un­gewöhnlich nur, dass er es tat und vor allem wie. Beide Bücher sind Zeug­nisse von Rang, literarisch und existentiell. Wer sie liest, liest einen»Fonta­ne«, den es bis dahin nicht gegeben hat. Damit gelang ihm zweierlei: 1. den biographischen Blitzschlag autobiographisch zu erden, und 2. seine reale Person aus dem fragwürdigen Presserummel in eine fraglos literarische zu überführen. Fontane ›erfand sich‹, und wem das zu viel ist, er begann sich ›zu erfin­den‹. Die Gelegenheit, sich öffentlich als»Th. Fontane« 41 zu präsentieren, nutzte Fontane und weil er sie abgezirkelt nutzte, wirkte sie. Er war, im Bilde, nichts weiter»als ein Schriftsteller pur et simple« 42 , schlicht und ein­fach. So wollte sich Fontane sehen, und so wollte er gesehen werden:»ich bin ganz einfach Fontane« 43 . Jetzt erst galt die Formel von 1858, oder genauer: Sie sollte die Gültigkeit erfahren, die ihr gebührte. Fortan in keinerlei Bin­dung, unter keinerlei Diktat und in niemands Diensten. Dass dies ausge­schlossen war, musste ihm niemand erklären. Aber der Wille setzte Impulse frei, die das Spätwerk erklären. Doch halten wir Maß. und messen wir noch ein Stück des eingeschlagenen Weges aus. 4 Wer Kriegsgefangen und Aus den Tagen der Occupation las, begegnete ei­nem Ich, das in Geschichte, Politik, Kunst und Poesie lebte und webte. Und zwar von Beginn an mit der Gefangennahme selbst. Im Nachgang unter­nahm Fontane alles, die buchstäbliche Lebensangst literarisch fort zu buch­stabieren. Kriegsgefangen erzählte die Gefangennahme nicht als militäri­sche, sondern als eine poetische Geschichte: Das Ich, schon beseelt vom »Jeanne-d´Arc-Land«(Lothringen), war noch beseelter vom Wunsch, den Geburtsort der Jungfrau von Orléans, Domrémy, aufzusuchen:»ich hätte«, heißt es,»jede Mühe und jeden Preis darangesetzt« 44 . Erzähler-Rhetorik und erzählte Realität spannten den Bogen. Alle Anzeichen von Gefahr in