Fontane und … Fontane Berbig 73 den Wind schlagend, eilte das Ich an»die geweihte Stätte, wo ›la Pucelle‹ geboren wurde«. Es überließ sich»ganz dem Zauber dieser Stunde« und »versenkte« sich noch einmal in den Anblick dieses in Geschichte und Dichtung gleich gefeierten Ortes. Convolvulus rankte sich um die Stämme einiger Zypressen; Resedabeete füllten die Luft mit ihrem Duft, die Religieuse sprach leise freundliche Worte; – alles war Poesie. 45 Das las sich schön, und ein schönes Selbstbild war es auch. Welche Gestalt wäre für den erzählten und erzählenden Fontane besser geeignet gewesen als Jeanne d´Arc, als die Jungfrau von Orleans? In ihr vereinte sich das Deutsche mit dem Französischen, Schiller mit Romanischem, Römisch-Katholisches mit Historie. Und als Ferment diente eine alles bindende Poesie, universal und individuell. So wusste das Ich sich in Gegebenheiten zu schicken, auch wenn sie unschicklich oder bedrohlich waren. Ratten in enger Zelle kriegten das Ich nicht unter, wie es Unbotmäßigkeiten wegsteckte. Es war menschen- und umgangsfreundlich, begabt zu Ironie und Selbstironie. Dass ihm ein kunstnaher Zug eignete, ließ erzählerische Beiläufigkeit einfließen, treffsicher: Mein Leben hatte mir bis dahin[seine Überführung nach Besançon] immer den Gefallen getan, sich nach künstlerischen Prinzipien abzurunden, derart, daß ich nicht nur Exposition, Schürzung und Lösung des Knotens jederzeit bequem verfolgen, sondern auch in einem gewissen Verwicklungsstadium genau vorhersagen konnte: nun kommt noch das, dann dämmert es wieder, und dann wird es Tag.[…] und ich blickte auf Besançon wie auf ein Schlußtableau, in dem, nach dem Vorbilde des Fürsten, der plötzlich seinen Stern zeigt und alles glücklich macht, ein alter wohlwollender General auftreten und mir sagen würde:»Mr. F., wir beklagen die Ungelegenheiten, die wir Ihnen gemacht haben; Sie sind ein lieber Mensch; reisen Sie glücklich.«[…] 46 Glück, ein Fontane-Wort. In einem Absatz gleich zweimal das Wort»glücklich«, dem sich ein drittes verweigerte:»Es ging aber diesmal alles verquer.« 47 Genau in jenem existenzentscheidenden Moment drohte das bis dahin segensreich waltende ästhetische Daseinsgesetz außer Kraft zu treten. Dem Anschein nach. Indes: Durch dieses Umkehrverhältnis gewann der Erzähler die freie Hand, die nötig war, um das Lebensunglück in literarisches Glück zu wenden. Der Leser wusste: Erzählen kann nur, wer überlebt hat. Ließ der Deus ex machina auch auf sich warten, sein Auftritt war gewiss. Die erlebte Qual verwandelte sich in Erzähllust. Das Ich behauptete den ästhetischen Grund, auf dem es stand. Aber damit nicht genug. Der Erzähler bediente sich des Äußersten, um jenem außerordentlichen Kippmoment das beziehungsreichste Bild zu geben, über das er verfügte – er berichtete von einer Erscheinung:
Heft
(2019) 108
Seite
73
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