Fontane und … Fontane Berbig 75 Geheimnis des Individuums, die einzig unersetzliche und unheilbare Stelle in ihm, wofür man früher das Wort Seele gebraucht habe« 49 , sie war in den Schreibblick Fontanes geraten. Nun lernte man jemanden kennen, den es zu kennen lohnte. Aus diesem lebensgeschichtlichen Erfahrungsraum entwarf sich Fontane als literarische Figur, genauer: als eine Nebenfigur, die nicht viel Aufsehens von sich zu machen gedachte, selbst wenn sie Aufsehen – wie im Falle seiner französischen Kriegsgefangenschaft – erregte. Das war, was sich nun vollzog. Fontane erkannte die Chance, ergriff sie und scheinbar mit leichter Hand. Eben diese Leichtigkeit hatte maßgeblichen Anteil an der Geburt des Erzählers, der bald in dichter Folge mit Romanen und Novellen an die Öffentlichkeit trat: zunehmend mit einer unverwechselbaren Stimme. Sie auszubilden, zu verfeinern und, in Geist und Wort, zu einem Marken- und Merkzeichen seines Schreibens werden zu lassen, wendete Fontane fortan alle ihm zur Verfügung stehende Kraft auf. Die Frankreich-Bücher öffneten die Tür. Der Erzähler, der zum Selbstschutz sich noch zuweilen das Gewand des märkischen Wanderers lieh, fand zu Eigenem. Er hatte keine Scheu, den deutsch-preußischen Stammtisch, der die Medien bis ins gehobene Feuilleton beherrschte, zu verlassen. Der sich als Randfigur begriff und in die literarisch-journalistische Zeitgeschichte einschrieb, nahm bewusst am Nachbar-, wenn nicht Katzentisch Platz. Aller Empfindlichkeit gegen Zugluft zum Trotz. Ihm war Frankreich nicht Erzfeind, und ohne Zögern reihte er humanisierende Erlebnisbilder aneinander und erteilte einem jungen Jägeroffizier das Wort, der sich als »Franzosenschwärmer« 50 zu erkennen gab. Es hätte der Auflage bei seiner Freilassung, sich aller antifranzösischer Invektive in öffentlichen Äußerungen zu enthalten, nicht bedurft. Mit seiner Gefangenschaft und der Erfahrung, die sie bedeutete, gab Fontane sein Selbstverständnis als vaterländischer Schriftsteller auf. Nicht lärmend, nicht als Spektakel, sondern als Schreibrealität. Ihm waren Maßstäbe geradegerückt,»gewisse« überkommende»Ansprüche und Feinfühligkeiten des Ehrenpunktes« 51 nationaler Überhebung eingeschlossen. Sein Fazit nach»fast dreiwöchentlichem Zusammenleben mit französischen Soldaten und Zivilpersonen«: Es sei seine Pflicht zu sagen,»daß diese Eindrücke die allerangenehmsten waren und daß ich mir keine Nation denken kann, die in so vielen, ihrer aufs Gratewohl gewählten Repräsentanten im Stande wäre, ein günstigeres Urteil hervorzurufen.« Er wiederholte, was ihm bereits während seiner englischen Jahre zum geflügelten Wort geworden war:»Hinterm Berge wohnen auch Leute.« 52 Dieses Ich scheute sich nicht,»das Furchtbare des Krieges« 53 auszusprechen und am bayerisch-barbarischen»Schlachten« von Bazilles, das sich tief in das französischen Bewusstsein eingeschrieben hatte, eindringlich vor Augen zu führen:»alles ein ungeheurer Ruinenhaufen« 54 .
Heft
(2019) 108
Seite
75
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