Fontane und … Fontane Berbig 77 d. h. ein Mann, der sein Metier als eine Kunst betreibt,[…]« 64 . Der sich schreibend selbst gefunden hatte, fand sich als Künstler: und erfand sich als Figur. 6 Fontane und … Fontane. So begannen wir, bis hierher sind wir gekommen. Ein Einschnitt ist markiert, ein schriftstellerisches Selbstverständnis bröselte und brach leise, aber zweifelsfrei nach der existentiellen Erfahrung ein. Dass Fontane sie in öffentlichen wie weitgehend auch in den privaten Äußerungen kleinhielt, ändert an ihrer Größe nichts. Seine Lebensskizzen, die man ihm nun wiederholt abbat, ließen die hugenottische Verwurzelung unerwähnt. Eigenartig. Neben ein aufpoliertes Bildungsprofil –»Ich gedachte damals[um 1840], mein Zukunft auf dem Studium dieser Wissenschaft[Chemie] aufzurichten« – setzten sie weiter auf»Märkisch-Preußisches« und»Englisch-Schottisches« 65 . Das Frankreich-Abenteuer 1870 allerdings fand Eingang: und zwar in der Rolle, die Kriegsgefangen vorgezeichnet hatte: der Dichter, den sein französisch-deutsch beseelte Geist beinahe aufs Schafott gebracht hätte. Weder im Brockhaus-Artikel von 1883 66 , der weitgehend aus seiner Feder stammte, noch in dem»kurzgefaßte[n] curriculum vitae« 67 , den er für den Neuen Deutschen Novellenschatz 1884 notierte, verzichtete Fontane darauf, den Ort seiner Gefangennahme – das »Geburtshause des Jeanne d´Arc« 68 – zu erwähnen. Reizen wir zum Schluss die These noch etwas aus. Fontane war sich in den bewegten französischen Wochen Spätherbst 1870 begegnet und trieb aus dieser Selbstbegegnung eine literarische Gestalt hervor, die ihm zum Verwechseln ähnlich sah. Sie trug seinen Namen und kam mit seiner selbstgeschnittenen Gänsefeder aufs Papier. Mit ihr stand jene Erzählstimme in Verbindung, die als ›Fontane-Ton‹ in der Literatur sprichwörtlich geworden ist. Niemand weiß, was es damit recht auf sich hat, aber jeder nickt wissend und bereitwillig, kommt die Sprache auf diesen Ton. 69 Es stellt sich der Verdacht ein, ob es nicht angezeigt sei, jenen zweiten Fontane im Titel in Anund Abführungszeichen zu setzen: eben als eine Erfindung, vielleicht Fontanes erfolgreichste, vielleicht der eigentliche Garant seiner Dauer. Denn dieser Ton ist ein Unverwechselbarkeitston, ein Alleinstellungsmerkmal. Er etabliert und konserviert ein Ich, das so individuell daherkommt wie es Identifikationsgelüste weckt und nährt. Nach 1870 entwickelte Fontane sein Briefwerk, das bereits facettenreich konturiert war, zunehmend und entschlossen zu einem Werkbestandteil. Und wenn Ernst Osterkamp, voller Urteilsgewissheit, rhetorischem Fegefeuer und nicht ohne Kaprize, keinem Gedicht Fontanes einen Platz in seinem und Rudolf Borchardts Verskunst-Himmel gewähren wollte, 70 so würde, wenn nicht alles täuscht, das beim Briefschreiber Fontane anders liegen.
Heft
(2019) 108
Seite
77
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