96 Fontane Blätter 108 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte In der zweiten Strophe nimmt Fontane motivisch die»Sonne« aus Löwensteins Festspiel auf, um sie als kultivierende Macht im materiellen und geistigen Sinn zu verklären. Aus ihr seien im Sinne einer Geisteshelle auch jene ideellen Güter wie»Gewissensfreiheit, Muth, Gesetz und Recht« entsprossen, die weiterzugeben und weiter zu hüten sind, unter diesen zumal das Recht(»des Rechtes Demant«). Der Mythos Preußens als»Rechtsstaat« wird bemüht, ein wirkmächtiger Mythos, auch und gerade bei Fontane, der in den Festdichtungen Hesekiels und Löwensteins keine Entsprechung hat, aber in ähnlicher Weise übergreifend wirkt wie das»Adlerland«. Fontane apostrophiert Preußen außerdem als ein»glücklich Land«, was an Löwensteins»glücklich Völklein« erinnert, gibt ihm indes mit der»alte[n] Treue«, die auch Hesekiel beschwört, einen anderen Grund und Sinn. War es bei Löwenstein die»Industrie«, die das Glück bewirkt, ist es bei Fontane die sichere Stellung des Landes, die aus der wechselseitigen Treue zwischen Volk und Fürst hervorgeht. Bei Hesekiel blieb die»alte Treu« eine einseitige Bindung an den König und das angestammte Herrscherhaus, so dass sowohl Glück wie auch Treue in Fontanes Gedicht gleich mehrfach umcodiert sind. Auch wird die»alte Treue« aus»alten Tagen« bei ihm revitalisiert für ein»neue[s] Wagen«, was bei Hesekiel ebenso wenig der Fall ist. Völlig neu bringt Fontane das Stichwort»Zukunft« hinzu, und das hat offenbar einen doppelten Sinn. Preußen muss sich nach außen und innen wappnen, um»deutsches Zukunftsland« zu sein. Es geht um seine Vormachtstellung in Deutschland, die notfalls durch Krieg befestigt werden muss, und um die für dieses»neue Wagen« erforderliche Eintracht im Innern. Ein Hegemonialanspruch deutet sich an, während anderes»fällt«. Das scheint ein Verweis auf die konkurrierende Macht Österreich zu sein. Und wenn sogar»vieles fällt«, dann denkt man daran, dass dieses Österreich, geschwächt durch die schweren Niederlagen bei Magenta und Solferino, nicht nur den Verlust der Lombardei zu beklagen hatte, sondern auch mit dem wachsenden Widerstand Ungarns konfrontiert war. Ohne seinen innen- und außenpolitischen Kontext ist das Preußenlied kaum zu verstehen. An dieser Stelle empfiehlt sich ein Fassungsvergleich. Gegenüber der in der Großen Brandenburger Ausgabe(GBA) abgedruckten Fassung zeigen sich einige Varianten, die in der ersten Strophe möglicherweise nur ›Glättungen‹ des Redakteurs oder Berichterstatters darstellen, die aber in der letzten Strophe durchaus von Gewicht sind. Der Rest sind Abweichungen bei den Hervorhebungen, die freilich beim liedhaften Vortrag das rhetorische Mittel der Emphase an mehr und anderen Stellen(»Hadern«,»Lebend´ge Klammern um den todten Stein«) zum Einsatz bringen. Unterschiede in der Groß- und Kleinschreibung bei der Apostrophe des imaginären Objekts»Adlerland«(»Du«,»Dich«:»du«,»dich«) sowie im Gebrauch der Interpunktion sind ferner zu vermerken. Der Kommentar der Großen Brandenburger Ausgabe verzeichnet keine Varianten, verweist
Heft
(2019) 108
Seite
96
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten