Heft 
(2019) 108
Seite
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Gelegenheit macht Lieder  Fischer 99 dieses Programms wieder ans Licht bringen. In jedem Fall erfolgte die ­primäre Rezeption des Preußenliedes beim Festmahl selbst sowie im Be­richt der Verhandlungen im Kontext der anderen vorgestellten Dichtungen, so dass von diesem Kontext künftig nicht mehr abgesehen werden kann. Er sollte auch deswegen Beachtung finden, weil er einmal mehr die Rolle des Tunnels über der Spree beziehungsweise einzelner seiner Mitglieder bei der Gestaltung von Festen und Feiern unterstreicht. Zehn Jahre später, am 16. Juni 1871, beim Einzug der Truppen in Berlin, waren an der Gestaltung der spektakulären»Siegesstraße« oder via trium­phalis Unter den Linden die»Rütlionen« Friedrich Eggers(1819–1872) und Richard Lucae(1829–1877) als Mitglieder des Festkomitees maßgeblich be­teiligt, aber auch August von Heyden(1827–1897), Adolph Menzel(1815– 1905) und Karl Eggers(1826–1900) wirkten daran mit. Waren diese sämtlich Auch- Tunnelianer, so verstärkten die Verse der Nur-Tunnelianer George Hesekiel und Christian Friedrich Scherenbergs(1798–1881) am 16. Juni 1871 noch die Tunnel-Präsenz. Fontane kam dagegen mit seinen Versen nicht zum Zug. Er hat jedoch Gelegenheitsdichtungen mit Öffentlichkeits­charakter seit den 1850er Jahren immer wieder und bis in seine späteren Jahre verfasst. Zum Vergleich bietet sich im vorliegenden Fall etwa Kaiser Wilhelms Rückkehr(17. März 1871) an, das sich in ähnlicher Weise an der Verbindung des»Alten« mit dem»Neuen« versucht und dabei einmal mehr die»alte Treue« zitiert. 28 Die bekannte Thematik des»Alten« und»Neuen« im Stechlin 29 hat so gesehen einen über Jahrzehnte zurückreichenden Vor­lauf. Er bedürfte einer eigenen Untersuchung, um Formen und Wandlun­gen dieser Thematik genauer bestimmen zu können. Immer dann, wenn Fontane die Rolle des ›öffentlichen Sprechers‹ über­nahm, und das geschah recht oft, 30 steht zudem die Frage im Raum, für wen er bei dieser»Gelegenheit« sprechen sollte oder sprechen wollte; denn spä­testens»seit den Einzugs-Gedichten 1864–66–71 war[er] im öffentlichen Bewußtsein Berlins ein Chronist, der zu wichtigen Gelegenheiten sein Dichterwort sprach. Dieser von ihm selbst gesuchten und geprägten, zu­nehmend aber auch in der Publikumserwartung ausgebildeten Rolle ent­sprach er, wenn er 1888/89 Kaiser-Friedrich-Gedichte verfaßte und sie an geeigneter Stelle der Öffentlichkeit präsentierte. Er sprach darin nicht ein­fach für sich, sondern jeweils ›für viele‹[]«. 31 Wer diese angenommenen »vielen« waren und in welcher Weise Fontane ihnen eine Stimme gab, ist eine Frage, die bei den solcherart veranlassten Dichtungen jeweils zu be­antworten ist. Dazu kommen Fragen, die Roland Berbig in systematischer Absicht formuliert hat. 32 Insgesamt kann hier nur sein Petitum mit Blick auf Fontanes Verse wiederholt werden:»Es ist an der Zeit, auch diesem Teil seines lyrischen Werks die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihm zu­kommt.« 33