132 Fontane Blätter 108 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte mit»Gott« das Verhalten Rollos auf sich. Roswitha geht aber darüber hinaus, indem sie in diesem Hundeverhalten Sinnhaftigkeit für sich erkennt (»das bedeutet mir was«). Mit dem Fremdwort»Kreatur«, das eigentlich nicht zum Wortschatz ihres Standes passt, bringt Roswitha eine ganz neue Kategorie ins Spiel. Effis Vater wird später, ohne es zu wissen, diesen Begriff aufnehmen und ebenfalls in die religiöse Dimension ausweiten:»Gott, vergib mir die Sünde, aber mitunter ist mir’s doch, als ob die Kreatur besser wäre als der Mensch.«(134). Roswithas auf den ersten Blick unsinnige Frage an den Hund nach seinem Namen(»wie heißt du denn?«) entspricht punktgenau der ebenso unsinnigen Anrede Innstettens beim ersten Auftreten des Hundes(53:»Nun, Rollo, wie geht’s?«). Während aber für Innstetten damals der Name des Hundes sein wichtigstes und daher zuerst genanntes Merkmal war, bedeutet der Name für Roswitha wenig(»Rollo; das ist sonderbar. Aber der Name tut nichts«); er dient höchstens zur Identifikation(»Ich habe auch einen sonderbaren Namen«), mit dem sie sich auch in ihrem Verhalten gegenüber ihrer ehemaligen Herrschaft charakterisiert:»ich hätte die Alte so geliebt wie ein treuer Hund«(125). Hatte Innstetten bei seiner ersten Vorstellung Rollo als»wunderschönes Tier« und als»Kenner« apostrophiert(51), so hat Roswitha für derlei abstrakte Ästhetik keinen Sinn; sie zielt auf das konkrete Verhalten, wenn sie Rollo als»Prachtkerl« bezeichnet(124). Diese starke identifikatorische Nähe zwischen Roswitha und Rollo stellt nicht nur Roswitha selbst durch ihre Beiordnung her(und der Erzähler durch die identische Anlautung der beiden Namen); sie wird auch von anderen so wahrgenommen, wobei sogar die Reihenfolge der Nennung höchst aussagekräftig ist:»du hast ja Rollo und Roswitha«(193). Insofern passt es ganz in diese Linie, dass Roswitha ihre Nähe zu Effi über die Kreatürlichkeit Rollos definiert(297) und sie es sein wird, die die Initiative zur Übersiedelung des Hundes nach Hohen-Cremmen ergreift. Rollo liefert also nicht nur bedeutungstragende Signale, sondern weitet seine Funktion in eine Dimension auf, die bis ins Religiöse reicht. 4.» Aber er ist doch bloß ein Hund«: Verdichtung Bei ihrem Besuch im elterlichen Park zu Hohen-Cremmen führt Effi mit ihrem Vater ein eher beiläufiges und scheinbar belangloses Gespräch über eben diese»Spaziergänge«:»Hast du nun solche Spaziergänge auch in Kessin« –»Nein, Papa, solche Spaziergänge habe ich nicht.«(133) Doch im Grunde geht es um den Zustand von Effis junger Ehe(»Innstetten hat keinen Sinn dafür«), so dass schnell Rollo ins Spiel kommt:»Und da geh ich denn viel spazieren und Rollo mit mir.« So entgleitet das Gespräch zwischen Vater und Tochter zu einer Charakterisierung ihres Verhältnisses zu dem Hund. Noch lacht der alte Briest(»Immer Rollo«), obwohl er zugeben muss, dass
Heft
(2019) 108
Seite
132
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