»Nur ein Neufundländer« Selbmann 137 doch so aus, als habe Fontane»die Kreatur in die Diskussion über Effis Schicksals einbezogen«, auch wenn dies»ein irrationaler Sachverhalt« sei. 12 »Und doch mag in Rollos langsamem Kopfschütteln noch etwas weiteres stecken.« 13 Abgesehen davon, dass der Hund den Sinn der Frage nicht verstanden haben und sein Kopfschütteln daher natürlich keine Antwort darauf liefern kann; abgesehen auch davon, dass Rollo»bei diesen Worten erwachte«, die anfänglich beobachtete Haltung(»den Kopf in die Pfoten gesteckt«) also nicht Trauer, sondern einfach Schlaf war – diese ›Antwort‹ des Hundes liefert die erste Hälfte der Schlusslösung des Romans. Die Sentenz des alten Briest ist nur der zweite Teil; sie ist ausdrücklich und mit Komma und»und« sogar doppelt als Beiordnung ausgezeichnet. Außerdem erweitert der alte Briest seine Leib-und-Magen-Sentenz durch ein(grafisch hervorgehobenes!)»zu«. Bisher hatte er sein sprichwörtliches»weites Feld« immer ohne (43) oder mit nur floskelhafter Erweiterung gebraucht(45:»wirklich ein zu weites Feld«; 134:»auch ein weites Feld«). Jetzt erhält die Schlussformulierung durch die grafische Hervorhebung eine besondere Betonung, die anaphorisch und phonetisch auf das»zu jung« des Selbstvorwurfs in der Frage der Mutter bezogen ist. Beide Hälften des Schlusssatzes sind daher in ihrer ausdrücklichen Beiund Gleichordnung miteinander zu lesen. Auf die Schuldfrage von Effis Mutter zeigt der Hund eine Reaktion, die vernünftigerweise nichts mit der Diskussion der Eltern über diese Schuldfrage zu tun haben und daher nicht auf seine Sinnhaftigkeit hin interpretiert werden kann. Als sinnhafte und bedeutungstragende Verhaltensweisen war aber Rollos Gebaren während des gesamten Romans vom Erzähler aufgebaut worden! Rollos Kopfschütteln ist also in seiner Wirklichkeitsreferenz ohne Sinn, jedoch schon daher von Sinnhaltigkeit durchtränkt, weil Fontane diese Hundegeste zum letzten Satz des Romans erhebt. Fontanes realistisches Erzählen macht in dieser selbstreflexiven Volte kund, welche Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen, eine fiktive Welt entstehen zu lassen, die mit der Wirklichkeit nicht nur in Konkurrenz treten kann, sondern sie sogar übertrifft, weil sie eine Vielzahl weiterer Sinnbezüge und Bedeutungszuschreibungen zulässt. Da kann sogar ein Hund zu einer entscheidenden Figur, ja sogar zum Stichwortgeber, zum Interpreten und Sinndeuter werden, obwohl dies vernünftigerweise nicht möglich ist. Auf jeden Fall aber macht Rollos Kopfschütteln Briests Sentenz vom »weiten Feld« von sich abhängig, weil es einerseits diese angebliche ›Lösung‹ durch die(nicht vorhandene) Sinndeutungskompetenz des Hundes als höchst fragwürdig einfärbt, andererseits aber auch bei ihr eine poetologische Dimension sichtbar macht: Fontane verankert den Gutsherrn Briest mit seiner»agrarisch geprägten Redensart« 14 im Wortfeld von dessen Lebenswirklichkeit, die dieser, ebenso wie der Hund Rollo die seine, nicht übersteigen kann. Der Erzähler hingegen kann es, indem er beide ›Stimmen‹ zu Wort
Heft
(2019) 108
Seite
137
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