Heft 
(2019) 108
Seite
155
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Fontane-Biographien  Holzner 155 Selbstbildnisse als Phantasiegebilde aufdecken, Mystifikationen freilegen und schließlich manches Bild ganz neu zeichnen; zum Beispiel jenes des Ber­liner Apothekers Wilhelm Rose, der Fontane zum Abschluss von dessen Lehrzeit 1840 ein schönes Zeugnis ausgestellt, umgekehrt jedoch wenig Dank geerntet hat. Vorgezeichnet ist diesem Autor nämlich nur die Apothekerlaufbahn(was er später gerne anders dargestellt, geradezu gelöscht hat), er macht kein Ab­itur, absolviert kein Studium. Aber schon früh schreibt er Gedichte und er tritt in verschiedenen literarischen Zirkeln auf, im Lenau-Verein, im Platen­Klub, seit 1844 auch in dem bekannteren Tunnel über der Spree, den Moritz Saphir, der aus Wien nach Berlin gekommen ist, gegründet hat; dort treffen sich Beamte und Offiziere, die sich für Literaten halten, Maler und Bildhau­er, aber doch auch einige renommierte Schriftsteller(durchwegs Männer), darunter Emanuel Geibel, Paul Heyse, Theodor Storm. Ein Netzwerk, alles in allem ziemlich konservativ. 1850 heiratet Fontane, der mittlerweile(in Dresden vermutlich) zwei Sprösslinge gezeugt hat und wenigstens in finanzieller Hinsicht anstandslos für beide aufkommt, die Spielgefährtin seiner Jugendzeit Emilie Rouanet-­Kummer. Seine Eltern leben in dieser Phase schon getrennt. Er muss ab so­fort Verantwortung übernehmen, für die Familie sorgen; von da an bezeich­net er sich als Schriftsteller, nicht länger als Apotheker. So arbeitet er unter anderem in der Berliner»Centralstelle für Preßangelegenheiten«, als Eng­land-Korrespondent, als Journalist für die reaktionäre Kreuz-Zeitung, dann lange als Theaterkritiker bei der liberalen Konkurrenz, nämlich bei der Vos­sischen Zeitung, und er amtiert nicht zuletzt als Kriegsberichterstatter(1864, 1866, 1870). Von einer geradlinigen Karriere kann keine Rede sein; aber das Netzwerk funktioniert, und nationale Töne, die in diesen Jahren in Preußen immer schriller zu hören sind, versagt er sich, immerhin. Was für seinen selbstgewählten Beruf gesprochen hat, fasst Dieterle so zusammen: Er war von Anfang an mit dem Zeitungsmetier vertraut, ver­stand sich darauf, gut zu schreiben und ebenso gut im literarischen Feld sich zu vernetzen, und konnte, da er doch auch englisch und französisch sprach, mit fremden wie mit eigenen Texten klug lavieren; kürzen, erweitern, um­schreiben, modellieren, meißeln literarisch gestalten, das ist mithin schon seit den 1850er Jahren sein Hauptgeschäft. Weil Dieterle umsichtig und so aufmerksam wie nur irgend möglich al­len noch auffindbaren Spuren des Autors folgt, kann sie die verschiedens­ten Seiten dieses Hauptgeschäfts bündig in Szene setzen. Das Resultat: ein monumentales Werk, in dem die privaten Verhältnisse und die Arbeitswei­se des Autors ebenso wie die politischen Entwicklungen seiner Ära an­schaulich dargelegt werden, kritische Lektüren zu seinen autobiographi­schen Schriften, Erzählungen und Romanen jedoch zugleich nie zu kurz kommen. Kritische Auseinandersetzungen zum einen. Keine vornehme