158 Fontane Blätter 108 Rezensionen »Diskriminierung von Seiten des Erzählers« festzustellen), er entdeckt sie lediglich in den Briefen oder auch schon in der Rezension zu Freytags Soll und Haben(1855); es steht indes dennoch nicht zu erwarten, dass die Debatte darüber in absehbarer Zeit zu einem Ende kommt. Das Hauptanliegen Zimmermanns aber ist es, im Anschluss vor allem an Hans-Heinrich Reuter und Peter Demetz weiterhin anzuregen zum Nachund Wiederlesen, aufmerksam zu machen auf Texte, die noch immer erst zu entdecken wären, wie Fontanes Wanderungen, die Briefe und seine Theaterkritiken, die Kriegsbücher oder auch der Roman Unwiederbringlich, in Zimmermanns Verständnis untrennbar mit Effi Briest verbunden, und immer wieder gezielt hinzuweisen auf seine besonderen Stärken: die Landschaftsschilderungen, die Führung der Gespräche, Fontanes»Plauder- und Bummelstil«, die Zeichnungen nicht nur der Titelfiguren, item vieler wunderbarer Nebenfiguren, oder am Ende auch die Methoden des Beschreibens und Umschreibens von Empfindungen – die Zimmermann an Marcel Proust erinnern, der, gut 50 Jahre jünger als Fontane, ebenfalls eine untergehende Gesellschaft in ihrem Untergang maßgebend porträtiert hat. Johann Holzner Iwan-Michelangelo D´Aprile: Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung. Hamburg 2018. Rowohlt Verlag, 29,90€ Wie erzählt man das Leben eines der größten und längst zum internationalen Klassiker der Literatur gewordenen Erzähler? Wie nähert man sich einer literaturhistorischen Überfigur, die zu Lebzeiten mit Meine Kinderjahre und Von Zwanzig bis Dreißig zwei literarisierte Autobiographien veröffentlicht hat, die selbst zu den großen Biographen ihrer Zeit gehörte, die seit ihrem Tod im nie versiegenden Interesse der Forschung steht und zu der zahlreiche Lebensdarstellungen(unter anderem von Helmuth Nürnberger) sowie eine mehrbändige Chronik vorliegen? Wie erzählt man vermeintlich längst Bekanntes? Und: wie stellt man es an, sich nicht in dem zuweilen grotesk anmutenden Hype von Dichterjubiläen zu verlieren, sondern den Blick für das Wesentliche, Spannende, bislang nur unzureichend Wahrgenommene, Kontroverse, Interessante zu wahren? Kurzum: Kann man in Sachen Fontane überhaupt noch originell sein? Ja, man kann. Wie man es anstellen muss, welche Zugänge und Perspektiven sich anbieten, zeigt die in jeglicher Hinsicht brillante Biographie von Iwan-Michelangelo D´Aprile. Vorweggenommen sei dies: Hier hat Fontane allem Anschein nach jemanden gefunden, der ihm gerecht wird oder besser, der ihm die richtigen Fragen stellt, ihn in seiner Zeit verortet und doch das Besondere, Einzigartige, Charakteristische nie aus dem Blick verliert, der ihn verstehbar oder auch nicht verstehbar macht, der ihn nicht einfach in seinem
Heft
(2019) 108
Seite
158
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