Fontane-Biographien Kittelmann 159 Jahrhundert zurücklässt, sondern ihn in die Gegenwart, den heutigen Leserinnen und Lesern an die Seite holt. Und das alles sowohl leicht und zugänglich als auch wissenschaftlich fundiert, auf dem aktuellen Stand der Forschung recherchiert und äußerst kenntnisreich präsentiert, dass man am Ende der Lektüre schlichtweg überzeugt ist: genau so muss man Fontane heute erzählen. Aber der Reihe nach. Schon die erste Begegnung mit dem Buch überrascht und macht neugierig zugleich. Nicht eines der zahlreichen, über den Dichter kaum etwas aussagenden Porträts Fontanes blickt einen hier an, sondern eine walisische Hafenszene, an der der anglophile und von Malern wie William Turner begeisterte Fontane sicher seine Freude gehabt hätte. Die Schiffsmasten im Hintergrund und die dampfende Eisenbahn mit den sich in mehrere Richtungen ausbreitenden Gleisen im Vordergrund des Gemäldes deuten darauf hin, wie D´Aprile Fontane zeigen und verstanden wissen will: als beweglichen, stets für Neues offenen, flexiblen, modernen Menschen, als vernetzten, auf Verbindungen und Mobilität jeglicher Art angewiesenen Journalisten und Autor, dessen biographische Brüche, Positionswechsel und Multiperspektivität(S. 265) in seiner Epoche begründet liegen und sich zugleich in seinen literarischen Praktiken, seinen Werken und seiner Werkpolitik(S. 309) widerspiegeln. D´Apriles Darstellung gliedert sich in die drei Hauptkapitel Apotheker auf der Flucht, Journalist im Dienst und Romancier der Hauptstadt und mehrere, in ihren Titeln erfrischend knapp gehaltene Unterkapitel. Flankiert wird die Darstellung durch eine Einleitung und einen Epilog zu den »Fontane-Retterinnen« Charlotte Jolles, Jutta Fürstenau und Lotte Engel (S. 466 ff.). D´Aprile geht es um die ausgewogene Balance»zwischen Biographie und Epochenporträt, Historisierung und aktuellen Fragestellungen, Wissenschaft und Verständlichkeit«(S. 15). Ein gestelltes und inszeniertes Porträt, wie jene in der Berliner Illustrierten Zeitung veröffentlichte Fotografie, die Fontane hinter seinem aufgeräumten Schreibtisch zeigt, hilft da nicht weiter.»Tatsächlich«, klärt D´Aprile mit Verweis auf eine Beschreibung Friedrich Fontanes schnell auf,»glich Fontanes Arbeitszimmer – wie Gieshüblers Wohnstube – einem veritablen Apothekerlabor«(S. 33). Der Schreibtisch erscheint als»regelrechter Apothekerschrank« und»laborartig« gestaltet»sich auch der umgebende Raum.«(ebd.) Die Idee vom»Labor« als Zugang sowohl zum Menschen als auch zum Schriftsteller Fontane zieht sich nahezu leitmotivisch durch die Biographie. Damit geht D´Aprile freilich von einem wunden Punkt aus. Fontane selbst haderte bekanntlich lange Zeit mit seiner Apothekervergangenheit und äußerte mehrfach seine Angst, den»Apotheker nicht los geworden« zu sein(so in einem Brief an die Tochter Martha im Jahr 1889, hier S. 32). Im Trauma der Apotheke, das Fontane erst in Von Zwanzig bis Dreißig überwindet, liegen für D´Apriles von der praxeologischen Perspektive herkommenden Ausführungen einer der
Heft
(2019) 108
Seite
159
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