Heft 
(2019) 108
Seite
160
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160 Fontane Blätter 108 Rezensionen ­zentralen Schlüssel zum Verständnis des Dichters und seines Werkes. Die Praktiken und Verfahren des Apothekers wie etwa das Verzeichnen, Erstel­len von Listen, Schneiden, Kleben und ganz besonders das»Mischen«, das Herstellen richtiger Rezepturen und Dosierungen erweist sich als signifi­kant für die Schreibprozesse und-praktiken Fontanes, der als Journalist vor allem mit»Ausschneiden, Aufkleben und Glossieren von Zeitungsmel­dungen«(S. 26) beschäftigt war, der die Montagetechnik als literarisches Verfahren in seinen Wanderungen(wunderbar von D´Aprile als»Heimaten­zyklopädie« charakterisiert, S. 253) und Romanen anwendete und den vor allem die»gemischten und gebrochenen Charaktere«(S. 320) reizten. In seinem»Romanschriftsteller-Laden«(S. 35, 335 ff.) eine Formulierung Fontanes, die D´Aprile verständlicherweise fasziniert und die er zum Titel eines Unterkapitels macht verfügte der Dichter schließlich über einen an Stoffen, Motiven, Szenen und Figuren reichen»literarischen Sortiments­handel«, den er nicht zuletzt mit Blick auf»Marktanforderungen und Ver­kaufsmöglichkeiten« kombinierte und kompilierte(S. 34). »Pechpflaster, Pepsin und Literatur«(S. 27) erscheinen als Therapeuti­kum des vom Leben und seiner Epoche zuweilen gebeutelten Fontane, der hier ganz bewusst nicht als»schöpferisches Genie«(S. 11) idealisiert, son­dern als flexibler, sein Jahrhundert seismographisch wahrnehmender, aber eben immer auf den Markt hin orientierter, auf»Verleger- und Redaktions­vorgaben Rücksicht«(ebd.) nehmender Autor porträtiert wird. Fontane also entzaubert? Keineswegs und im Gegenteil: Indem D´Aprile den konkreten Schreibrealitäten und Milieus des Balladendichters, Journalisten und ­Romanciers nachspürt und immer wieder dessen vielfältige und medien­übergreifende Arbeits-, Schreib- und Veröffentlichungspraxis in den Blick nimmt, macht er ihn zugänglich und zeigt eindrücklich, welche histori­schen, ästhetischen und biographischen Ereignisse auf ihn wirkten, welche mediale Umgebung ihn inspirierte, welchen Anforderungen, welchem Sound und welchem Tempo seiner Zeit er sich zu stellen hatte und wie er schließlich auf unterschiedliche literarische Art und Weise auf diese Ein­flüsse und Prägungen reagierte. Damit ist ein ganz eigener Zauber verbun­den und es lässt einen das Gefühl nicht los, das 19. Jahrhundert, das D´Aprile in all seinen Facetten bestens kennt, ist der eigentliche Star der Biographie. Nebenbei sei hier auf die sorgfältig ausgewählten Abbildungen hingewie­sen, die Fontanes Jahrhundert eindrücklich illustrieren und ikonogra­phisch kontextualisieren. D´Aprile ordnet Fontane seiner Epoche nicht ­unter, aber er ordnet ihn ein und macht so Themen, Stoffe, Motive, Konstel­lationen und Praktiken verständlich. Fontanes Berichte aus England, seine Vorliebe für historische Stoffe, sein vaterländisches Wanderungen-Projekt, seine Kriegsberichterstattung oder seine Ehebruch-Romane werden in größeren, zuweilen sogar globalen Kontexten betrachtet und doch gerät dabei das Besondere, Spezielle, Fontanetypische nie aus dem Blickfeld.