Heft 
(2019) 108
Seite
161
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Fontane-Biographien  Kittelmann 161 In vielerlei Hinsicht sind damit neue Sichtweisen auf Fontane verbunden. Dazu zählt die Perspektive, Fontane als geschickten Netzwerker und kolla­borativen Akteur wahrzunehmen und zu zeigen, dass Biographie und Werk von dieser Einbettung in zeittypische Netzwerke nicht unerheblich geprägt und protegiert wurden. Zunächst sind es die Apothekernetzwerke, die dem jungen Fontane immerhin die erste Reise nach England ermöglichen (S. 62 ff.). Die Literaten- und Journalistennetzwerke, unter anderem im Ver­ein Tunnel über der Spree, bestimmen Fontanes Werdegang und Entwick­lung maßgeblich mit. Und schließlich ist da die»Roman-Unternehmerfami­lie«(S. 350), das Familiennetzwerk, das gemeinschaftlich an einer Art Marke Fontane arbeitet und in das neben dem»Workaholic«(S. 352) Fontane die Ehefrau Emilie, die Tochter Martha und der als Verleger tätige Sohn Fried­rich eingebunden sind. Wie Fontane weiß auch D´Aprile, dass die»richtige Dosierung entschei­det, ob ein Stoff zum Gift oder Heilmittel taugt«(S. 35). Vielstimmigkeit und Mehrdimensionalität sind das narrative Grundrezept des Erzählers und seines Biographen. Dass D´Aprile Wert darauf legt, nicht nur Fontane selbst in Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, autobiographischen Texten oder in den jüngst erschlossenen Notizbüchern, sondern»viele weitere unterschied­liche Stimmen zu Wort kommen«(S. 14) zu lassen, ist ein weiterer Vorzug des Buches, das so neue Blicke auf vermeintlich längst Bekanntes eröffnet und die Lektüre selbst für abgeklärteste Fontane-Kenner anregend machen dürfte. D´Aprile profitiert dabei sowohl von einer gut und breit aufgestell­ten Forschung als auch von neuen Quellen und Editionen, wie etwa dem vor einiger Zeit publizierten Briefwechsel zwischen Adolf Stahr und Fanny ­Lewald, die sich als Fontane-Fans der ersten Stunde offenbaren. Die Bemü­hungen Lewalds und Stahrs um den jungen Balladendichter Fontane, den Stahr sogar zum literarischen Akteur eines Revolutionsromans machen wollte(S. 128), relativieren in vielerlei Hinsicht die zumeist despektierlichen und abfälligen Äußerungen Fontanes, der mit seinen Förderern und auch sonst mit vielen seiner Zeitgenossen insbesondere in seinen Korresponden­zen nicht zimperlich umging. D´Aprile entdeckt neue Schauplätze, schärft Konturen, eröffnet Pfade, die bislang kaum beschritten worden sind: Dazu gehören etwa Fontanes, über Maron und Faucher, vermittelte Kontakte zu den Berliner Freien (S. 86 ff.), die sich meist in der Hippelschen Weinstube trafen. Hier lernte Fontane emanzipierte, selbstbewusste und moderne Frauen wie Marie Dänhardt, Gattin des früh verstorbenen Max Stirner, oder Louise Hoche kennen, die Spuren in Romanfiguren wie Corinna Schmidt oder Pauline Wittelkow hinterlassen haben dürften. Überhaupt teilt D´Aprile mit Fonta­ne die Vorliebe für Nebenfiguren und schräge Typen wie etwa Wilhelm von Saint-Paul, dem D´Aprile, der gerade in solchen Sequenzen viel Sinn für Humor zeigt, gehörig Platz einräumt(S. 165 ff.).