162 Fontane Blätter 108 Rezensionen Auch wenn, wie D´Aprile betont, eine»Biographie kein Roman«(S. 437) ist, so besticht doch seine Darstellung durch ihren Erzählrhythmus, durch ihr Tempo, ihre gekonnt gesetzten Spannungsmomente, ihr Gefühl für Relevantes und Unterhaltsames. Das Buch hat eine ganz eigene, wohltemperierte Atmosphäre, die einen mitnimmt. Man kennt die Story, weiß längst, wie die Geschichte ausgeht und doch liest man sie gespannt bis zum Ende durch. Wohltuend wirkt die stets gewahrte Distanz des Biographen zum Porträtierten und die Tatsache, dass er Fontane selbst zuweilen schräg, skurril, tragikomisch daherkommen lässt. Damit sind letztendlich ganz besondere Lektüremomente verbunden. Zu den eindrücklichsten Bildern, die einen nicht mehr loslassen, gehört der im Mai 1876 in orientalischer Tracht Akten sortierende Fontane, den Anton von Werner brieflich verewigt hat(S. 280). Was man sonst eher mit Wilhelm Gentz oder dem Fürsten Pückler verbindet, tritt einem plötzlich in der Erscheinung des späteren, hier nun vorerst roten Fez tragenden Verfassers von Effi Briest und vom Stechlin entgegen. Und doch weiß D´Aprile mit der grotesken Situation bestens umzugehen und diese an keiner Stelle ins Lächerliche zu ziehen. Im Gegenteil: Bestechend ist die Würde der Szenerie, die uns Fontane als sein dichterisches Alter Ego Firdusi, als protestierenden, sensiblen, verletzlichen Menschen (S. 281) zeigt, der nicht alles mit sich machen lassen und sich einem zwanzig Jahre jüngeren Karrieristen, einer»malenden Hofmaitresse«(S. 282) wie Anton von Werner einfach nicht unterordnen wollte. D´Aprile wertet die anschließende Kündigung und das»Akademie-Debakel«(S. 285) dann auch nicht als Überheblichkeitsgeste, sondern als Zeichen einer beruflichen Umorientierung und Beginn einer neuen Ära und stellt fest:»Ohne die Kündigung,(…) hätte es wohl keinen einzigen Fontane-Roman gegeben«(ebd.). Wie sein Jahrhundert blieb der Mensch und Dichter Fontane stets in Bewegung, musste es bleiben. Indem D´Aprile Fontane als modernen Menschen zeigt, den(politische) Seitenwechsel, Neuorientierungen, Zäsuren, Krisen, Kündigungen, Brüche und Aufbrüche, aber auch eine bis zum Lebensende andauernde stete Offenheit und Neugier gegenüber neuen Strömungen und Erscheinungen(etwa Otto Brahms Freie Bühne, S. 391 ff.) prägten, kommt er dem Dichter trotz aller»verborgen(en) oder lediglich angedeutet(en)(ebd.)« Facetten so nahe wie bislang kaum jemand. Und am Ende der Lektüre stellt sich ein Gefühl ein, auf das man im Fontanejahr 2019 bei aller Feierstimmung gar nicht gehofft hatte: Fontane ist einer von uns. Jana Kittelmann
Heft
(2019) 108
Seite
162
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