12 Fontane Blätter 104 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes 3. Überlieferung als Abschrift- und Vergessensgeschichte Dass bei wissenschaftlichen Untersuchungen und Editionen außer den Originalen auch sämtliche Briefabschriften verglichen und die in und auf ihnen manifestierten Spuren der Überlieferungsgeschichte möglichst vollständig erfasst und berücksichtigt werden müssen, ist mittlerweile Konsens. Nicht nur die Anmerkungen, die von Zeitgenossen Fontanes hinzugefügt wurden, machen die Abschriften für die Forschung so wertvoll. Mitunter sind in den Abschriften auch Texte oder Textteile überliefert, deren Originale verlorengegangen sind. 4 Mitunter ermöglichen sie erkenntnisfördernde Verknüpfungen. Wenn dieser Text hier, abweichend von den Usancen der Editionswissenschaft, anhand der Abschrift vorgestellt und sogar ausnahmsweise nach diesem Textzeugen erstmals publiziert wird(wobei das Original zum Vergleich herangezogen wurde), so hat das damit zu tun, dass es in diesem Beitrag nicht um wissenschaftliche Edition geht, sondern darum, charakteristische Besonderheiten der Überlieferungs-, Forschungs- und Editionsgeschichte des epistolographischen Werkes Fontanes zu veranschaulichen. Und dafür ist ein genauer Blick auf die Abschriften äußerst erhellend. Obwohl die hier präsentierte Abschrift vermutlich bereits seit 1907 im Konvolut der Briefabschriften existiert, mit Sicherheit seit 1936 zum Bestand des Theodor-Fontane-Archivs gehört, spätestens seit 1941 auch im Archiv verwahrt wird und seit 1961 mit einer eigenen Signatur im Katalog beschrieben ist, und obwohl auch das Original dieser Nachschrift ununterbrochen bereits seit den 1930er Jahren öffentlich verfügbar war, wurde dieser Text bisher nicht ediert und von der Forschung übersehen.»(Geht eigentlich doch nur Brahm an u. interessiert heute keine Katze mehr) Fr. F.« lautet das fatale Votum Friedrich Fontanes, festgehalten mit Bleistift am linken Rand des Blattes am Ende des Textes schräg zur Schreibrichtung der Maschine. Unmittelbar darüber steht mit rotem Stift das Symbol»Ô« (ein überdachtes ›O‹, alternativ findet man häufig auf den Abschriften eine durchgestrichene Null, also ›Ø‹, wie in dieser Abschrift mittig direkt über dem Text, oder das Deleatur-Symbol) als Zeichen für ›nein‹ bzw. ›nicht‹, das anzeigt, dass der Brief bzw. die betreffende Passage zur Publikation nicht geeignet sei. Hier also beginnt, was man als Vergessensgeschichte dieses ›Extrablatts‹ bezeichnen kann. Die Überlieferungs- und Editionsgeschichte Fontanes ist zu einem wesentlichen Teil eine Geschichte von Texttradition durch Abschrift. Das trifft nicht nur für die Werke zu, die nach den – oft vom Autor nochmals mit großem Aufwand überarbeiteten – Abschriften publiziert wurden, das gilt in besonderem Maße für Fontanes Briefe, die nach seinem Tod von den Erben gesammelt wurden, was oft nur in Form von Abschriften möglich war. Selbst dort, wo sich die Briefe im Besitz der Erben befanden, wurden zunächst Abschriften angefertigt und in Konvoluten gesammelt. 5 Die
Heft
(2017) 104
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12
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